| Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 8 Antragsberatung |
| Status: | Beschluss |
| Beschlossen am: | 12.10.2025 |
| Antragshistorie: | Version 2 |
Kein Abtreibungsverbot durch die Hintertür!
Beschlusstext
Die Jusos Thüringen fordern die Fraktion der SPD im Thüringer Landtag, die
Fraktion der SPD im Bundestag und die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Bärbel Bas auf, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sowie das Direktionsrecht
von Träger:innen der öffentlichen und privaten Gesundheitsversorgung in
Deutschland zu beschränken.
Weiterhin muss in diesen Einrichtungen das Kirchenarbeitsrecht abgeschafft
werden, um die ärztliche Behandlungsfreiheit bei medizinisch indizierten
Eingriffen und nach §§ 218, 218a unter Straffreiheit gestellte Abtreibungen zu
schützen.
Außerdem fordern wir die Landesregierung des Freistaates Thüringen auf, bei
geplanten Fusionen von Kliniken verbindlich sicherzustellen, dass das bestehende
Angebot für sichere Schwangerschaftsabbrüche in Art und Umfang mindestens
erhalten bleibt. Fusionen, die eine Verschlechterung oder Einschränkung dieses
Angebots erwarten lassen, sind zu untersagen bzw. dürfen nicth genehmigt werden.
Bei allen Entscheidungsprozessen ist dem Schutz der reproduktiven
Gesundheitsversorgung besondere Priorität einzuräumen.
Eingriffe, die die körperliche Selbstbestimmung betreffen, müssen vor der
indirekten Einflussnahme durch ideologisch oder konfessionell geprägte
Interessensgruppen geschützt werden. Wechselnde Besitzverhältnisse in Kliniken
und ambulanten operativen Einrichtungen dürfen nicht zu einer Verschlechterung
der Versorgungslage für gebärfähigen cis Frauen, trans Männer, non-binäre und
intersex Personen in äußert verletzlichen und persönlichen Notsituationen
führen. Deren Selbstbestimmungsrecht und das von Ärzt:innen, die diese durch die
sichere Durchführung solcher Eingriffe unterstützen, benötigen besonderen
Schutz.
Zudem müssen in jedem staatlichen Klinikum mit gynäkologischer Fachabteilung
Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden können.
Ärzt:innen in der gynäkologischen Assistenzärzt:innenausbildung und
Fachärzt:innen für Gynäkologie sowie für diese Eingriffe benötigtes weiteres
Personal - wie Hebammen, operationstechnische Assistent:innen,
Anästhesist:innen, anästhesie-technische Assistent:innen, medizinisch-technische
Assistent:innen, Pflegefachkräfte sowie Pflegehelfer:innen - dürfen keine
Repressionen durch deren Arbeitgeber:innen erfahren, wenn sie Abtreibungen in
der Klinik oder außerhalb anbieten, unterstützen oder durchführen.
Da die bestehenden Gesetze durch das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und
Direktionsrecht der Arbeitgeber:innen in Kliniken derzeit umgangen werden
können, müssen Einschränkungen - die über die gesetzlichen Regelungen
hinausgehen - bundeseinheitlich untersagt werden.
Antragsbegründung
6 Jahre Studium und 5 Jahre Assistenzärzt:innenausbildung trennen die meisten Entscheidungsträger:innen der Krankenhausverwaltung von medizinischen Eingriffen. Dennoch mischen sich insbesondere bei konfessionell geprägten Träger:innen die Verwaltungen der Kliniken durch Missbrauch ihres Direktionsrechts und erweiterten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auch in staatlich finanzierten Kliniken in die ärztliche Behandlung ein. Bei einigen evangelischen Träger:innen sind Abtreibungen nur nach Ethikkommission bei medizinischer Indikation, also z. B. nicht lebensfähigen Fehlbildungen erlaubt. Andere katholische Träger:innen verbieten diese komplett, außer es geht um Leben und Tod der Schwangeren Person.
Im Rahmen von Klinikzusammenlegungen, durch Neuordnung unseres Gesundheitssystems, bekommen religiöse Gemeinschaften zunehmend Einfluss auf die abnehmende Anzahl an Kliniken – und gefährden hierdurch das Angebot für stationär und ambulant durchgeführte Abtreibungen.
Dass sie hierbei auf andere Angebote für Abtreibungen verweisen, wirkt zynisch, wenn man bedenkt, dass nicht jede schwangere Person in dieser Notsituation die Möglichkeit und die Mittel für eine längere Reise hat.
Dass sie „Beratung“ für gebärfähige cis Frauen, trans Männer, non-binäre und intersex Personen anbieten, beendet weder eine Schwangerschaft, noch ändert sie etwas an z. B. nicht lebensfähigen oder einschneidenden körperlichen Behinderungen der ungeborenen Föten. Auch familiäre, wirtschaftliche, persönliche oder strafrechtliche Hintergründe können durch eine Beratung nur eingeschränkt beeinflusst werden. Menschen, die sich nach einer offenen Beratung für eine Schwangerschaft entscheiden und Hilfsangebote annehmen, müssen ebenso in ihrer Entscheidung unterstützt werden, wie jene, für die die Schwangerschaft keine Option darstellt.
Eine Beratung anzubieten, bei der trotz Trägerschaft eines staatlichen Klinikums, einer privaten Klinik oder einer ambulanten operativen Einrichtung eine Abtreibung keine Möglichkeit darstellt und somit das Fazit nur sein kann ”Hier ist Ihr Zertifikat, viel Erfolg bei der Suche nach einem Termin innerhalb der gesetzlichen Frist woanders!“„Viel Erfolg dabei, eine Klinik zu finden, die Ihren Abbruch bei medizinischer Indikation nach der Frist durchführt!” ist Heuchelei.
Fusionen, die die Trägerschaft von öffentlichen Kliniken beeinflussen, werden im Rahmen der aktuellen Reform des Gesundheitssystems noch häufiger werden, daher besteht eine dringliche gesetzgeberische Handlungsnotwendigkeit, um die Gesundheitsversorgung von Schwangeren in solchen verletzlichen Situationen zu sichern.
Denn auch die psychische Gesundheit von unter anderem Vergewaltigungsopfern, welche ggf. durch das unnötig verlängerte Erleben der Schwangerschaft und der Abtreibung erneut traumatisiert werden, spielt für einige katholische Träger:innen keine Rolle.
So ist dies zum Beispiel im Klinikum Lippstadt dem katholischen Träger ebenso egal, wie die selbstbestimmte Entscheidung der Schwangeren oder medizinische Indikationen. Die einzige von der katholischen Kirche hier genehmigte Ausnahme ist eine Situation, in der Leib oder Leben der Person akut bedroht ist. Diese Ausnahme genügt dem zuständigen Arbeitsgericht in Hamm, um dem Arbeitgeber auf der aktuellen gesetzlichen Grundlage recht zu geben, da es sich nicht um ein kategorisches Verbot von Abtreibungen handelt.
Das Selbstbestimmungsrecht der Kirche geht darüber hinaus aber noch weiter und ermöglicht es ihr in diesem Fall, auch das ambulante Angebot für sichere Abtreibungen vor Ort zu verschlechtern. So wurden auch in der Privatpraxis des Chefarztes in Lippstadt aufgrund des Loyalitätsprinzips im Kirchenarbeitsrechts Abtreibungen untersagt. Dieses gibt den Kirchen das Recht, auf das Verhalten ihrer Angestellten außerhalb des direkten Arbeitsverhältnisses einzuwirken.
Bei bislang mindestens drei betroffenen Kliniken in Lippstadt, Flensburg und Kelheim, ist eine bundeseinheitliche Regelung zum Schutz eines sicheren Angebotes an ärztlich durchgeführten ambulanten und stationären Abtreibungen notwendig. Die Kliniken liegen in drei Bundesländern, die nach § 13 Abs. 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz eigentlich verpflichtet wären, ein solches Angebot sicherzustellen. Da in all diesen Fällen nach Fusion durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers und Selbstbestimmungsrecht der Kirche Eingriffe zur Beendigung einer Schwangerschaft größtenteils untersagt wurden, ist eine gesetzliche Regelung, welche der Kirche und anderen Träger:innen der Gesundheitsversorgung, Eingriffe in die ärztliche Behandlung durch ihr Direktionsrecht untersagt, dringend notwendig. Ebenso ist die Abschaffung des Kirchenarbeitsrechts, welches obendrein über den Loyalitätsanspruch auch die Durchführung im Bereich von Nebentätigkeiten der Ärzt:innen verbietet, angemessen.
Die sichere, professionelle und verständnisvolle Beratung und Behandlung von Menschen mit Uterus in diesen Extremsituationen muss priorisiert werden und ein Abtreibungsverbot durch die Hintertür verboten werden.
