Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | Antragsberatung LaKo |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landeskonferenz Jusos Thüringen |
Beschlossen am: | 17.10.2020 |
Eingereicht: | 16.11.2020, 15:44 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A1 Und auch 2020: Der Markt regelt einen Scheiß!
Beschlusstext
Nach einer verlorenen Landtagswahl haben wir als Jusos uns innerhalb der SPD für
eine R2G-Minderheitsregierung eingesetzt, weil wir der Überzeugung waren, dass
es nach einem Wahlergebnis ohne klare Mehrheitsoption und einer so erstarkten
AfD eine Regierung braucht, die gerade im Jahr 2020 und die nächsten fünf Jahre
eine sozial-ökologische Transformation gestalten muss. Bekanntlich kam es am 5.
Februar im Thüringer Landtag mit der Wahl Kemmerichs als Ministerpräsidenten
durch CDU, FDP und AfD zum Dammbruch und zu einer Regierungskrise. Erst nachdem
der Druck auf der Straße zu groß wurde, hat Kemmerich sich in einem Zickzack-
Kurs zurückgezogen. Von da an war es klar: Wir werden trotz der Wiederwahl Bodo
Ramelows zum Ministerpräsidenten nicht zur Tagesordnung übergehen.
Wir Jusos haben uns innerhalb der SPD eingesetzt, dass unverzügliche Neuwahlen
anberaumt werden müssen. Ein entsprechender Landesvorstandsbeschluss der SPD ist
auch ein Erfolg unseres Jugendverbandes und der Demonstrant*innen. Gegen alle
Parteien konnte sich die SPD am Ende nicht durchsetzen. Alleine die Debatte um
eine Verschiebung der im Stabilitätsmechanismus vereinbarten Neuwahlen im April
2021 zeugt davon, wie wichtig es ist, eine klare Position zu beziehen: Die
Wahlen müssen im Frühjahr 2021 stattfinden!
Dabei kämpfen wir für ein Bündnis, welches für die Aufnahme der Geflüchteten
stimmt und das Landesaufnahmeprogramm zügig umsetzt. Wir verurteilen das
Verhalten Einzelner aus den Reihen der FDP und der CDU, die Stimmung gegen eine
Aufnahme von Geflüchteten aus Moria gemacht und den Dammbruch - der die
Neuwahlen erforderlich macht - erst ermöglicht haben.
Wir kämpfen für eine starke SPD in einem progressiven rot-rot-grünen Bündnis.
Nur mit einer starken Sozialdemokratie wird es möglich sein, die
Errungenschaften der Politik für die Vielen und nicht für die Wenigen zu sichern
und auszubauen. Das Bündnis steht klar gegen Rassismus und Antisemitismus. Es
ist insbesondere in Zeiten des Rechtsrucks eimmens wichtig, an der Seite der
antifaschistischen Initiativen vor Ort zu stehen. Zugleich müssen wir
rechtsextreme Netzwerke in Sicherheitsbehörden identifizieren und konsequent
bekämpfen. Wir können faschistisches Gedankengut weder in geschlossenen
WhatsApp-Gruppen noch im Dienst akzeptieren. Gleichzeitig müssen wir
konsequenten Antifaschismus leben.
Wir glauben, dass der Staat seiner Rolle gerecht werden muss und dass wir keine
Probleme dem Markt überlassen können. Für uns regelt der Markt einen Scheiß: Die
Sozialdemokratie ist gefragt, eine echte sozial-ökologische Transformation zu
gestalten. Schluss mit leeren Worthülsen. Wir müssen endlich eine klare sozial-
ökologische Vision schaffen und nachhaltig vertreten. Hier darf der
Nachhaltigkeitsaspekt in allen Lebensbereichen nicht auf Kosten der sozialen
Gerechtigkeit gehen - wir müssen einen funktionierenden sozialen Ausgleich
schaffen. Sei es die Abschaffung der Massentierhaltung hin zu einer gut
regulierten sozial-ökologischen Landwirtschaft mit fairen Löhnen - ohne eine
“Fleischsteuer” einzuführen, die letztlich nur die Geringverdiener:innen in
ihrem Konsumverhalten einschränkt. In diesem Sinne brauchen wir eine umfassende
Transformation unserer Wirtschaft, die sich von einer schnelllebigen Industrie
hin zu einer in sich zirkulierenden Kreislaufwirtschaft entwickelt. Wir müssen
dafür sorgen, dass es genügend Weiterqualifizierungsangebote und gleichzeitig
ausreichend Investitionen in Forschung und Entwicklung gibt, um die
Transformation zu ermöglichen. Die drohenden Standortschließungen von
Automobilzulieferern in Thüringen machen deutlich, wie wichtig eine sozial-
ökologische Transformation ist.Unser Verständnis von Leben und Wirtschaften ist
nicht der Kapitalismus. Darum lautet unsere Maxime: Die Sozialdemokratie muss
für die Überwindung des kapitalistischen Systems einstehen, denn der Markt
regelt einen Scheiß.
Die Sozialdemokratie muss für eine Gesundheitssystem ohne Profitinteresse
kämpfen, denn der Markt regelt einen Scheiß. Die Corona-Pandemie und die
politischen Antworten haben uns viel deutlicher gemacht, wie unser Wirtschaften
und Leben funktioniert. Für uns ist es nicht überraschend, dass der Markt
versagt hat. Alleine das stärker im Fokus stehende Gesundheitssystem
veranschaulicht, dass es schon lange an der Zeit ist, den Kapitalismus zu
überwinden. Anstelle einer klaren Lohndebatte für Pfleger:innen blieb es
größtenteils doch beim Klatschen. Der einmalige Pflegebonus ist ein falscher
Kompromiss. Echte Anerkennung und ein echtes Danke würde bedeuten, dass wir
endlich die Systemfrage stellen. Wir fordern, dass Krankenhäuser mit Hilfe des
Landes kommunalisiert oder in Trägerschaft des Landes überführt werden. Das DRG-
System ist ungerecht: Hier braucht es eine echte Reform, die die neoliberale
Logiken nicht fördert, sondern verhindert. Dafür muss sich Thüringen mit einer
Bundesratsinitiative einsetzen. Wir fordern, dass im gesamten Gesundheitssystem
endlich mehr Personal zur Verfügung steht. Ob im Krankenhaus oder in der
Altenpflege: Es muss Schluss sein mit Personalkürzungen!
Die Sozialdemokratie muss für eine echte Daseinsvorsorge kämpfen, denn der Markt
regelt einen Scheiß. Viel zu lange haben der Nahverkehr, der Breitbandanschluss
oder sogar der Bargeldautomat am Tropf der Betriebswirtschaftslehre gehangen.
Der ländliche Raum war und ist am Ende der Verlierer. Wir müssen deshalb dafür
sorgen, dass die öffentliche Daseinsvorsorge für die Menschen und nicht für den
Markt da ist. Darum ist für uns klar, dass die Daseinsvorsorge in öffentliche
Hand gehört und für alle frei zugänglich und flächendeckend garantiert werden
muss. Für uns bedeutet die Stärkung der Daseinsvorsorge ist die Schaffung von
ausreichend Wohnraum mit Sozialpreisbindung. Gleichzeitig muss den Spekulationen
mit Immobilien ein Ende gesetzt werden. Denn Wohnen ist Menschenrecht!
Die Sozialdemokratie muss für menschenwürdige Arbeit sorgen, denn der Markt
regelt einen Scheiß. Im Zuge der Debatte um neue Arbeitszeitmodelle stehen wir
fest an der Seite der Gewerkschaften und streiten mit ihnen gemeinsam für die 4-
Tage-Woche. Die Zunahme der Produktivität seit der Einführung der 40-Stunden-
Woche ist immens. Sie ging aber nie mit einer weiteren Arbeitszeitreduzierung
einher. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir wollen ein Recht auf Homeoffice, das
sich an den Arbeitnehmer*innenrechten orientiert. Bei den anstehenden
Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst muss zudem klar sein, dass eine
Anpassung der Arbeitsbedingungen in Ost – an Westdeutschland schon lange
überfällig ist. Menschenwürdigere Arbeit beginnt nicht nur mit der 4-Tage-Woche,
sondern muss im Sinne einer Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro
weiter gedacht werden. Gute Arbeit verdient einen gerechten und fairen Lohn für
den wir an den Seiten der Gewerkschaften streiten. Bei den Lockerungsmaßnahmen
nach dem Shutdown konnten wir erleben, dass die Bundesländer eher Profit und
weniger die Menschen in den Vordergrund stellen. So mussten Eltern ohne
Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder zur Arbeit. Während der Flug nach
Mallorca wieder möglich war, wussten die Eltern nicht, wie sie ohne Betreuung
ihrer Kinder arbeiten gehen können. Corona hat nochmal deutlich gezeigt, wie
wichtig erzieherische Berufe sind. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten in
den Kindergärten und fordern, den Personalschlüssel bei U3 auf 1:5 und bei Ü3
auf 1:7,5 zu erhöhen. Für uns war zudem auch vor Corona klar: Die Bildung und
damit auch die Kindergarten muss gebührenfrei sein!
„Der demokratische Sozialismus muss für Feminismus kämpfen, denn der Markt
regelt einen Scheiß. Politik, Arbeitsmarkt und gesellschaftlicher Konsens sind
noch immer zugeschnitten auf traditionelle Rollenverteilungen mit
erwerbsarbeitenden Vätern und vornehmlich care-arbeitenden Müttern. Zur Care-
Arbeit oder auch reproduktiven Arbeit, zählen Tätigkeiten wie Putzen, Einkaufen,
das Sich-Kümmern um Kinder oder die Pflege von Familienmitgliedern. Männer
übernehmen nachweislich deutlich weniger unbezahlte Arbeit als Frauen, schon bei
der Kindererziehung, aber auch später bei der Pflege von Angehörigen. Selbst
wenn sowohl die Mütter als auch die Väter minderjähriger Kinder beide in
Vollzeit arbeiten, ist der Unterschied in der unbezahlten Arbeit signifikant.
Die Covid-19 Krise macht die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit sichtbar.
Frauen sind von den sozialen Folgen der Krise stärker betroffen als Männer.
Besonders viele Frauen arbeiten als Krankenschwestern und Pflegekräfte, sie
müssen während Lockdowns Haushalt und Homeschooling jonglieren, viele verlieren
ihre Jobs im informellen Sektor- etwa als Hausangestellte - und der Staat lässt
sie dabei oft allein. Frauen müssen als unbezahlte Betreuerinnen in Familien und
Gemeinden die Lücken füllen, die geschlossene Schulen,
Kinderbetreuungseinrichtungen und andere Dienste hinterlassen. Zudem seien sie
besonders davon betroffen, dass unsichere Arbeitsverhältnisse gerade verloren
gehen. Hinzukommt, dass der Frauenanteil in den Topetagen deutscher Unternehmen
dieses Jahr erstmals gesunken ist. Beispielsweise gibt es elf Dax-Konzerne, in
denen keine einzige Frau im Vorstand sitzt. Im vergangenen Jahr war das bei
sechs Unternehmen der Fall. Nur 13 Prozent der Vorstandsämter in den wichtigsten
Unternehmen des Landes sind mit einer Frau besetzt. Etliche Konzerne möchten
daran auch gar nichts ändern. Für uns ist klar: wir brauchen verbindliche Quoten
für Vorstände und eine bessere moralische und finanzielle Anerkennung für Care-
Arbeit. Wir werden weiterhin für das Durchbrechen patriarchaler Strukturen
streiten!“
Die Sozialdemokratie muss für eine echte Umverteilung kämpfen, denn der Markt
regelt einen Scheiß. Trotz des massiven Wirtschaftswachstums in der letzten
Dekade ist der Gini-Koeffizent in Deutschland, der die Ungleichheit in einem
Land bemisst, unverändert. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter.
Für den Reichtum ist im Gegensatz zu anderen Ländern in Deutschland vor allem
das Erben verantwortlich. Dabei wollen wir nicht die ostdeutsche Perspektive
vernachlässigen. Neben den Lohnunterschieden sind auch große
Eigentumsunterschiede deutlich in Statistiken ablesbar. Deshalb drängen wir
darauf, endlich eine höhere Erbschaftssteuer und eine verfassungskonforme
Vermögenssteuer zu erheben. Wir schauen aber auch über die Grenzen des Landes
hinaus. Wir brauchen eine europäische Umverteilungsperspektive mit sozialen
Steuersystem. Deshalb ist auch Finanztransaktionssteuer als europäische Steuer
unerlässlich.
Der Markt regelt einen Scheiß: Die Sozialdemokratie muss die digitale Zukunft im
Privat- sowie im Arbeitsleben voranbringen und für richtungsweisende Ideen
einstehen. Die digitale Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie deutlich
beschleunigt wurde, hat einen weitreichenden Einzug in das Arbeitsleben vieler
Arbeitnehmer:innen gefunden. Für diese Entwicklung muss es einen erheblichen
Schutz der Arbeitnehmer:innen innerhalb der digitalen Arbeitswelt geben. Das
digitale Arbeiten ist vom Privatleben stark abzugrenzen, um Arbeitnehmer:innen
nicht einer andauernden Belastung auszusetzen. Wir werden uns als Jusos deshalb
im Gesetzesprozess zum Recht auf Homeoffice gemeinsam mit den Gewerkschaften für
die Arbeitnehmer:innen stark machen.
Begründung
Begründung erfolgt mündlich.