Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | Antragsberatung LaKo |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landeskonferenz Jusos Thüringen |
Beschlossen am: | 17.10.2020 |
Eingereicht: | 16.11.2020, 16:21 |
Antragshistorie: | Version 1 |
I1 Polizeikritik is not a crime
Beschlusstext
Die Landeskonferenz der Jusos möge beschließen:
Die Jusos Thüringen positionieren sich einer Stärkung von Polizei und
Sicherheitsapparat gegenüber grundsätzlich kritisch. Wir erkennen an, dass die
Kehrseite eines subjektiven Sicherheitsgefühls, das Teilen der Bevölkerung z.B.
durch verstärkte Polizeipräsenz an öffentlichen Orten vermittelt wird, die
Überwachung und erhöhte Gefahr von Repressionen gegen andere Bevölkerungsteile
ist.[1]Wir sehen im Recht auf individuelle Freiheit ein wichtiges Gut in der
demokratischen Gesellschaft, welches nicht stärker als bisher von Polizei und
Sicherheitsbehörden eingeschränkt werden soll.
- Wir widersprechen deshalb einer weiteren Stärkung von Polizei und
Sicherheitsapparat in Thüringen vehement. Wir unterstützen keinen
Wahlkampf mit diesem Themenschwerpunkt für die kommende Landtagswahl!
- Wir fordern einen kritischen Umgang mit Polizeigewalt und thematisieren
diese öffentlich und innerparteilich.
- Wir erachten es angesichts einer Häufung von rassistischen und
rechtsextremistischen Vorfällen innerhalb der Polizei und
Sicherheitsbehörden im gesamten Bundesgebiet als dringend notwendig, eine
unabhängige wissenschaftliche Überprüfung derartiger Einstellungen
innerhalb der genannten Institutionen in Thüringen durchzuführen. Auch
wenn bisher vorwiegend andere Bundesländer die Schlagzeilen bestimmten,
gibt es keine Anhaltspunkte dafür zu glauben, die Lage in Thüringen
gestaltete sich davon signifikant verschieden. Wir betonen, dass vor der
Veröffentlichung einer unabhängigen Studie zu diesem Thema keine
generalisierenden Aussagen über das Ausmaß rassistischer Einstellungen in
den genannten Institutionen getroffen werden können. Wir kritisieren
deshalb bereits vor einer umfassenden Untersuchung getätigte vorschnelle
Äußerungen wie diejenige, in der Polizei existiere kein strukturelles
Rassismusproblem (vgl. Georg Maier im deutschlandfunk am 7. Oktober
2020).[2]
- Wir unterstützen das Vorhaben von Georg Maier, unabhängig von der
Entscheidung des Bundesinnenministers in den SPD-regierten Bundesländern
Studien über Rassismus innerhalb der Polizei und den Sicherheitsbehörden
durchzuführen.[3]Wir begleiten den Prozess rund um die Studie, die in
diesem Rahmen in Thüringen entsteht, kritisch und fordern mit Nachdruck
die politische Unabhängigkeit der untersuchenden Institution sowie deren
Eignung in Hinblick auf wissenschaftliche Kriterien ein.
- Wir fordern die SPD darüber hinaus dazu auf, den Forderungen verschiedener
zivilgesellschaftlicher und politischer Akteur*innen nach einer Studie
über Rassismus und andere menschenverachtende Einstellungen innerhalb der
Polizei und Sicherheitsbehörden für das gesamte Bundesgebiet innerhalb der
Regierungskoalition Nachdruck zu verleihen. Sowohl die Zahlen als auch die
lokale Verteilung der Fälle zeigen deutlich die weitreichenden Dimensionen
des Problems.
[1]Betroffen sind von polizeilicher Repression häufig Menschen nicht-weißer
Hautfarbe sowie wenig privilegierte gesellschaftliche Gruppen. Den Zusammenhang
zwischen beiden Faktoren halten wir für relevant.
Begründung
Noch nicht einmal zehn Jahre ist es nun her, dass mit der schrittweisen und bis heute unvollständigen Aufklärung des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) ein umfassendes Versagen deutscher Sicherheitsbehörden (nicht zuletzt in Thüringen) in Bezug auf den Umgang mit rechten Gewalttaten deutlich wurde. Unser Vertrauen in Behörden, die anstatt in Richtung rechtsextremer Tatmotive zu ermitteln, jahrelang nicht zuletzt aufgrund kultureller Vorurteile das familiäre Umfeld der Mordopfer in den Blick nahmen, ist bis heute nachhaltig erschüttert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Rassismus, der damals das Handeln der Behörden implizit bestimmte, heute nicht mehr existiert.
Im Gegenteil: In den vergangenen Tagen offenbarte sich überall im Bundesgebiet, dass die Mär der „Einzelfälle“ rassistischer und rechtsextremer Einstellungen innerhalb der Polizei nicht zu halten ist. Bundesinnenminister Horst Seehofer weigert sich zwar bisher noch immer, eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zu dem Thema zuzulassen und speist die Öffentlichkeit mit einem sogenannten „Lagebericht“ ab, der jedoch selbst Kind des Geistes des Verfassungsschutzes ist. Links der CDU/CSU leugnet niemand mehr, dass es hinsichtlich einer Untersuchung der Situation doch „Handlungsbedarf“ (Georg Maier) gibt. Die Kritik der politischen Vertreter*innen mit Regierungsbeteiligung an den Sicherheitsbehörden und der Polizei hält sich jedoch weiterhin in engen Grenzen, deren Plausibilität dringend angezweifelt werden muss. So behauptet auch der Thüringer Innenminister Georg Maier pauschal, es gäbe kein strukturelles Rassismusproblem in den Behörden. Das Ergebnis einer Untersuchung bereits zu antizipieren, bevor auch nur ein*e Soziolog*in mit einem Fragebogen ein Polizeirevier betreten hat, ist jedoch schlichtweg zu voreilig.
Auch in Bezug auf andere Formen von Diskriminierung scheint uns Kritik an Polizei und Sicherheitsbehörden berechtigt. Dass im Juli diesen Jahres zwei Polizisten der Polizei Gotha vom Erfurter Landgericht wegen schwerem sexuellen Missbrauch einer Frau im Dienst zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurden[1], stärkt nicht gerade unser Vertrauen in eine Institution, die noch immer überwiegend patriarchal geprägt ist.
Immer wieder machen Polizit*innen auch durch Corpsgeist und Gewalt von sich Reden! Im Grunde erscheint es angesichts dessen bereits als eine Sensation, dass strafrechtlich relevantes Verhalten von Beamten im Dienst in diesem Fall überhaupt zur Anzeige und sogar zur Verurteilung kam. Zivilgesellschaftliche Gruppen und Initiativen, die solche Fälle öffentlich thematisieren, leisten einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Opfer.
Als Sozialist*innen ist es für uns zudem ein elementares Recht innerhalb der demokratischen Gesellschaft unsere Kritik und unseren Unmut auf die Straße und damit in den öffentlichen Raum zu tragen. Eine Stärkung der Polizei, die auf Demonstrationen linker Aktivist*innen immer wieder durch unverhältnismäßige Gewalt auffällt, kann deshalb für uns kein Ziel sein! Auch lassen Vorfälle wie der Fund einer rechten Zeitschrift in einem Polizeiwagen in Jena 2016[2]den Verdacht gerechtfertigt erscheinen, dass Teile der Polizei eher Rechtsextremist*innen nahestehen. Zu glauben, politische Einstellungen der Beamt*innen verblieben dabei allein im Privatbereich, wäre naiv! Von einer politischen Neutralität der Polizei im Umgang mit linken Demonstrant*innen kann keine Rede sein!
Auch unter sozialdemokratischer Führung stellt eine Stärkung der Polizeibehörden ein großes Risiko dar: Ändern sich die politischen Kräfteverhältnisse im Land, profitieren unter Umständen weiter rechtsstehende politische Akteur*innen von einer Stärkung des Sicherheitsapparates, der dann zur Verfolgung linker Opposition dienen kann.