Begründung für den Änderungsantrag:
Wir stehen hinter dem Vorschlag, der aus der bisherigen „Vaterschaftsanerkennung“ eine „Elternschaftsanerkennung“ macht. Diese Maßnahme schafft dringend benötigte rechtliche Gleichstellung und Anerkennung aller Familienformen, unabhängig von Geschlecht, Partnerschaftsstatus oder sexueller Orientierung.
Gleichzeitig halten wir es für notwendig, die im Antrag enthaltene automatische gemeinsame Sorgerechtsregelung zu streichen. Aus feministischer Perspektive und insbesondere mit Blick auf das Kindeswohl ist eine automatische gemeinsame Sorge nicht grundsätzlich die angemessene Lösung. Die bisher existierende Regelung, bei der das alleinige Sorgerecht der Mutter grundsätzlich gilt und gemeinsames Sorgerecht bewusst beantragt wird, ist aus unserer Sicht vorzuziehen.
Automatisches gemeinsames Sorgerecht kann in der Realität zu erheblichen Problemen führen:
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Verstärkung bestehender Machtungleichgewichte – zu Lasten von FLINTA-Personen und des Kindeswohls
Während das Ziel rechtlicher Gleichstellung zwischen Eltern natürlich wichtig ist, wird durch ein automatisches gemeinsames Sorgerecht verkannt, dass soziale und ökonomische Machtverhältnisse in vielen Fällen nicht symmetrisch sind. Gerade in patriarchal geprägten Strukturen kann dies dazu führen, dass insbesondere FLINTA-Personen zusätzlich belastet werden, sei es durch finanzielle Abhängigkeit, psychische Belastung oder die Fortsetzung von Kontrolle und Einfluss durch den anderen Elternteil. -
Gemeinsames Sorgerecht ohne Alltagsverantwortung – Belastung statt Unterstützung
Automatisch erteilte Sorgeverantwortung setzt voraus, dass beide Elternteile gleichermaßen zur tatsächlichen Sorgearbeit bereit und fähig sind. In der Praxis tragen jedoch meist Mütter oder primär betreuende Eltern den Großteil der Care-Arbeit. Ein rechtlicher Automatismus ignoriert diese gelebte Realität und kann dazu führen, dass Mütter bei jeder Entscheidung – von Schulwahl bis Arztbesuch – Rücksprache mit einem Elternteil halten müssen, der sich möglicherweise kaum oder gar nicht am Alltag beteiligt.
Dies behindert nicht nur handlungsfähige Sorgepersonen, sondern kann das Kind auch in Konfliktsituationen instrumentalisieren oder blockieren. -
Rechtliche Verknüpfung in Gefährdungslagen - Unnötige Risiken für Mutter und Kind
In Fällen häuslicher Gewalt, Stalking oder psychischer Kontrolle wird durch ein automatisches gemeinsames Sorgerecht eine fortdauernde rechtliche Bindung zwischen Täter und Opfer aufrechterhalten – und damit ein Zwang zur Kooperation. Solche Fälle sind keine Randerscheinung, sondern betreffen zahlreiche Familien. Gerade das Kindeswohl wird hier nicht durch rechtliche Bindung beider Eltern geschützt, sondern durch die Möglichkeit, schädliche Dynamiken zu unterbrechen.
Die Haltung, dass zwei Elternteile per se besser für das Kind seien, blendet strukturelle Gewaltverhältnisse aus und kann gefährliche Abhängigkeiten zementieren. -
Einzelfallgerechtigkeit statt Automatismus – Schutz durch differenzierte Prüfung
Das bestehende Rechtssystem verlangt bei nichtverheirateten Eltern eine bewusste Entscheidung oder gerichtliche Prüfung für gemeinsames Sorgerecht – und das aus gutem Grund: Diese Regelung ermöglicht es, individuelle Lebensrealitäten zu berücksichtigen, anstatt sie zu normieren. Ein Automatismus würde diese Schutzfunktion untergraben und im Zweifel das Risiko für Kind und betreuenden Elternteil erhöhen. -
Fokus auf tatsächliche Fürsorge statt auf biologische Elternschaft
Familienrealitäten sind vielfältig. Ob eine Person rechtlich oder biologisch Elternteil ist, sagt wenig über ihre tatsächliche Verantwortung im Alltag aus. Sorgearbeit ist nicht automatisch gleich verteilt – sie wird oft geschlechtsspezifisch getragen. Ein modernes Familienrecht sollte daher soziale Elternschaft und gelebte Fürsorge stärker anerkennen, statt an einem biologistischen oder formalrechtlichen Modell festzuhalten. Ein Automatismus im Sorgerecht läuft dieser Entwicklung entgegen und ignoriert die Vielfalt familiärer Lebensformen. -
Kindeswohl braucht Handlungsfähigkeit – nicht juristisch erzwungene Kooperation
In hochstrittigen oder konfliktbelasteten Beziehungen ist ein gemeinsames Sorgerecht oft nicht praktikabel. Entscheidungen für das Kind werden verzögert, blockiert oder im schlimmsten Fall zur Austragung elterlicher Konflikte missbraucht. Die Vorstellung, dass gemeinsames Sorgerecht stets dem Kindeswohl diene, verkennt die Bedeutung elterlicher Kooperationsfähigkeit. Kindeswohl entsteht nicht durch juristische Gleichstellung, sondern durch stabile, verlässliche Bezugspersonen – und deren Handlungsfähigkeit.
Ein automatisches gemeinsames Sorgerecht stellt aus unserer Sicht keinen Fortschritt dar, sondern eine Vereinfachung mit gravierenden Nebenwirkungen. Es ignoriert strukturelle Ungleichheiten, gefährdet die Handlungsfähigkeit der primär betreuenden Elternteile, setzt Kinder Risiken aus und unterläuft bestehende Schutzmechanismen im Familienrecht. Wer Gleichstellung wirklich will, muss Verantwortung und Fürsorge gerecht verteilen, nicht nur Rechte automatisch vergeben, sondern an tatsächliches Engagement und Sicherheit binden.
Das Recht auf Beantragung des gemeinsamen Sorgerechts bleibt dabei uneingeschränkt erhalten und wird durch unseren Änderungswunsch nicht eingeschränkt. Vielmehr fordern wir, dass das gemeinsame Sorgerecht weiterhin die bewusste und freiwillige Entscheidung aller beteiligten Elternteile voraussetzt, und dieser Schritt in Zukunft vorallem noch barriereärmer umzusetzen ist.
