Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2025 |
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Antragsteller*in: | Jusos Altenburger Land, Jusos Gera, Jusos Greiz (dort beschlossen am: 11.09.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 17.09.2025, 09:23 |
A17: Polizeistaat? Nein, Danke!
Antragstext
Die Jusos Thüringen fordern die SPD-Landtagsfraktion auf, den aktuellen Entwurf
für das Polizeiaufgabengesetz anzupassen, um unverhältnismäßige
Grundrechtseinschränkungen zu verhindern.
Mit einer SPD in der Landesregierung dürfen aus Sicht der Jusos folgende Punkte
nicht beschlossen werden:
Die Einführung von Tasern als neue Standardwaffe der Polizei, die Nutzung von KI
zur Musterüberwachung zur Prävention von möglichen Gefahren, die Automatisierte
Kennzeichenerkennung, der Einsatz von biometrischen Daten zur Online-Fahndung.
Der Einsatz von automatisierter Datenverarbeitung mittels Palantir-Software und
Ablegern ist ebenso abzulehnen, wie die Meldeauflagen auf Verdacht.
Nachbesserungsbedarf besteht unter anderem im Bereich der geplanten Fußfessel.
Die hier vorgesehene elektronische Aufenthaltsüberwachung von Täter:innen –
welche mehrfach gegen Schutzauflagen verstoßen haben oder mit schweren
Straftaten drohen – bedarf, um Missbrauch vorzubeugen, mindestens richterlicher
Anordnung. Der Anwendungsbereich ist außerdem zu konkretisieren und auf die
Fälle von häuslicher Gewalt für besseren Opferschutz zu beschränken.
Begründung
Taser als neue Waffe für die Polizei in Thüringen sind in vielerlei Hinsicht umstritten. Zum einen können Polizist:innen die Vorerkrankungen deren Gegenübers in den meisten Fällen nicht kennen. Das Ausmaß der durch den Taser ausgeübten Gewalt kann somit in vielen Fällen nicht richtig eingeschätzt werden. In den USA gibt es nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters über 1000 Tote im Zusammenhang mit Tasereinsätzen. Eine versehentliche Tötung bei niedrigerer Hemmschwelle wird somit durch die allgemeine Verbreitung des Tasers billigend in Kauf genommen. Außerdem erhöht das sichtbare Tragen eines Tasers nach einer Studie der Cambridge University die Eskalationsgefahr und zusätzlich sinkt die Hemmschwelle der Polizei, Gewalt auszuüben. Daneben sind Taser nur eingeschränkt zuverlässig, insbesondere wenn das Gegenüber dickere Kleidung trägt, wie es in Deutschland über weite Teile des Jahres der Fall ist.
KI-Musterüberwachung ist eine verdachtslose Videoüberwachung, die aus unserer Sicht der Umsetzung von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum Vorschub leistet. Die Installation von Kameras zur Überwachung von Menschen, die sich frei und unbedarft im öffentlichen Raum bewegen, stellt diese unter Generalverdacht. Die Festlegung, an welchen Orten diese Kameras etabliert werden sollen, unterliegt zudem einer politischen Willkür. Die Erkennung von Mustern, die über Festnahme, Großeinsatz oder ungerechtfertigte Gewaltanwendung entscheiden, darf einer KI in einem Rechtsstaat nicht überlassen werden. Zudem zeigen Auswertungen aus Großbritannien, dass sich Straftaten durch Videoüberwachung lediglich in geschütztere Räume verschieben. Eine Reduktion fand dort insbesondere bei Eigentumsdelikten in den überwachten Arealen statt, während sich weder die Sexual- noch Gewaltdelikte reduzierten. Eine KI, die Muster erkennt, ist zudem anfällig für einfach zu registrierende rassistische Stereotype. Daneben beschreibt der Chilling-Effekt, dass sich Menschen mit legitimen Anliegen wie einem friedlichen Protest, potentiell durch Überwachung einschüchtern lassen.
Die automatisierte Kennzeichenerkennung bietet ebenso Raum für Missbrauch, da für das Erkennen einzelner Kennzeichen alle gescannt werden müssen. Diese Daten sind geeignet, Bewegungsprofile von Menschen zu erstellen, die sich nichts zu schulden kommen lassen haben.
Biometrische Daten werden dem Staat durch Bürger:innenanvertraut, um sich ihm gegenüber auszuweisen. Diese Daten für eine Fahndung online zu Missbrauchen, ist eine Zweckentfremdung für die der bloße Verdacht der Begehung einer Straftat nicht ausreichend ist. Die Hürde für die Fahndung online nach Menschen mit Bildern ihrer Gesichter oder Aufnahmen ihrer Stimme muss besonders hoch sein. Ohne einen Haftbefehl darf die Privatsphäre von Menschen auch online nicht mutwillig durch den Staat durchleuchtet werden. Zudem werden die Opfer solcher digitaler Übergriffe auf ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht oftmals nicht über diese in Kenntnis gesetzt. Somit handelt es sich um eingriffsintensive, heimliche Überwachungsmaßnahmen die nach dem Bundesverfassungsgericht nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter möglich sind, wenn für diese eine zumindest hinreichend konkrete Gefahr besteht. Daneben lassen sich über die Rückwärtssuche online für die Ermittlung völlig irrelevante Informationen, wie politische Gesinnung, Religionszugehörigkeit oder Sexualität ausspähen. Als Bilder für diese Suche sind potentiell auch bei öffentlichen Versammlungen gemachte Aufnahmen möglich. Auch dies kann Menschen davon Abhalten, Positionen zu beziehen und Vorabgehorsam fördern.
Durch den Einsatz von automatisierter Datenverarbeitung mittels Palantir-Software werden Daten unbedarfter Bürger:innen selbst wenn diese auf EU-Boden verarbeitet werden sollten, in die Arme eines US-Unternehmens gegeben, welches durchaus ein anderes Verständnis von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz haben kann. Voraussagen eines Systems, welches sich der menschlichen Nachvollziehbarkeit entzieht, können nicht Grundlage von Entscheidungen der Exekutive werden. Zudem urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die staatlich erhobenen Daten nicht ohne ausgiebige Abwägung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen einer konkreten und vorab definierten Gefährdung zweckentfremdet werden dürfen. Wie bereits oben beschrieben sind solche heimlichen Überwachungsmaßnahmen zurecht an äußert hohe Hürden geknüpft. Wie man bereits in der jüngeren Vergangenheit sieht, verwässern öffentliche Debatten jedoch immer wieder die Auffassung, die politische Entscheidungsträger:innen von „gewichtigen“ Rechtsgütern haben, wenn man zum Beispiel an die Präventivhaft für Klimaaktivist:innen in Bayern denkt. Insofern ist es aus unserer Sicht nicht sinnvoll, einem Staat Werkzeuge in die Hand zu geben, die eine Überwachung einer breiten Bevölkerung ermöglichen, selbst wenn diese zunächst nicht das Ziel der Einführung ist. Die Polizei hat bereits die Möglichkeit, einzelne heimliche Überwachungsmaßnahmen durchzuführen und daher fehlt es an einer ausreichenden Rechtfertigung für die Einführung eines Massenüberwachungsinstrumentes wie Palantir.
Meldeauflagen für Menschen, die der Polizei nur verdächtig vorkommen, schränken die, die nicht rechtskräftig verurteilt sind, in ihren Grundrechten ein. Die im Grundgesetz garantierte Freizügigkeit ist hier in Gefahr. Eine soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung droht. Während diese Maßnahme mit Prävention gerechtfertigt werden soll, fehlt es ihr an dem Mehrwert für schikanierte Bürger:innen. Besonders Menschen, die in mehreren Jobs arbeiten oder pendeln, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, können durch tägliche, wöchentliche oder monatliche Meldepflichten in finanzielle Schieflage geraten, wenn die Arbeit mit den Terminen kollidiert. Daneben bietet die Polizei in dem Moment keine Sozialarbeit oder psychologische Betreuung an, welche die aus ihrer Sicht gefährlichen Personen in deren Welt abholen und ihnen Perspektiven eröffnen. Ein Termin um 11 Uhr bei der Polizei verhindert weder den Drogenkonsum am Abend noch ändern sich hierdurch die Freundeskreise. Echte Hilfe geht anders! Dazu kommt die Frage, wie und von wem festgelegt wird, wer verdächtig genug für eine Meldepflicht ist. Reicht es da, auf einer Demo gewesen zu sein? Reicht es, einen Diebstahl begangen zu haben? Reichen die falschen Freund:innen, mit denen man gesehen wurde? Und dann war es das, mit dem geplanten Urlaub, dem geliebten Hobby oder der Zeit, in der man sich tatsächlich hätte Hilfe suchen können. Neben die bereits existierenden Möglichkeiten der gerichtlich auferlegten Sozialstunden, Bewährungshilfe, Jugendamt und Sozialarbeit gestellt, enttarnt sich die Meldepflicht als absehbare Schikane von noch nicht verurteilten und damit der Unschuldsvermutung unterliegenden Bürgern:innen. Eine Förderung der oben genannten Strukturen und insbesondere von Schulsozialarbeit und Streetworker:innen sollte stattdessen die Antwort sein.
Die SPD strebt mit der Initiative für den verbesserten Opferschutz bei häuslicher Gewalt ein Modell an, welches sich in Spanien bewährt hat. Haben Täter:innen Fußfesseln, die die Opfer informieren, wenn diese sich nähern, können Konfrontationen und Übergriffe und am Ende auch Femizide verhindert werden. Dieses Anliegen ist verständlich und relevant. Uns ist hierbei wichtig, dass sich das auch so konkret im neuen PAG wiederfindet. Verallgemeinerungen, die die Ausstattung von potentiellen Gewalttäter:innen insgesamt, von Ladendieb:innen, Lebensmittelretter:innen , Jugendlichen mit Fluchttendenzen oder Demonstrant:innen ermöglichen, sind strikt abzulehnen und öffnen Tür und Tor für Missbrauch.
Dem staatlichen Gewaltmonopol sind Grenzen zu setzen, die auch im Blick auf zukünftige Regierungen eine stabile, freiheitliche Gesellschaft garantieren statt einzuschränken und zu überwachen. Der Schutz der Privatsphäre vor Übergriffen eines autoritären Staates sollte hier Priorität über die Illusion von Sicherheit haben.
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