Übernahme der Begründung in den Antragstext.
Antrag LaKo: | Zeitwende in der Finanzpolitik |
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Antragsteller*in: | Jusos Südthüringen |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 14.06.2022, 20:14 |
Antrag LaKo: | Zeitwende in der Finanzpolitik |
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Antragsteller*in: | Jusos Südthüringen |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 14.06.2022, 20:14 |
1. Einleitendes
Die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhundert sind ein Jahrzehnt, in dem schicksalhafte
Entscheidungen über die Zukunft der Bürger:innen in Deutschland, aber darüber hinaus in
ganz Europa und der ganzen Welt getroffen werden. Es hängt von den Weichenstellungen in
diesem Jahrzehnt ab, ob die Klimakrise auf ein Ausmaß zu begrenzen ist, welches das Leben
auf unserem Planeten in der Form wie wir es kennen weiterhin möglich macht. Es hängt
ebenfalls von den Weichenstellungen in diesem Jahrzehnt ab, ob sich die Europäische
Staatengemeinschaft effektiv gegen militärische und terroristische Bedrohungen schützen
kann und ob sie weiterhin ein beachteter und einflussreicher Akteur ist. Angesichts dieser
epochalen Weichenstellungen, die in den kommenden Jahren zu treffen sind, lastet die
Verantwortung, die auf den politischen Entscheidungsträger:innen, aber auch auf jeder:m
Bürger:in gewaltig. Als Jusos verstehen wir es als integralen Teil dieser Verantwortung, bei den
genannten Weichenstellungen alle Angehörigen unserer Gesellschaft mitzudenken und Kosten
und Nutzen sozial gerecht zu verteilen.
Wir sind uns einig – die ökologische Transformation unserer Zivilisation muss so schnell wie
möglich erfolgen. Ebenso dürfen wir bei der Gewährleistung unserer Sicherheit keinen Tag
nachlässig sein. Humanitäre Notlagen, wie die Lebensumstände von Menschen die bei uns
Schutz vor Elend, Tod und Verfolgung suchen, dürfen wir keinen Augenblick hinnehmen. Dass
die Klimakrise, die Sicherheitskrise und die vielen humanitären Krisen kausal miteinander
zusammenhängen, zeigt zudem, dass auch eine sinnvolle Lösung dieser Krisen nur
zusammenhängend gedacht werden kann. Es ist also deutlich: die Herausforderungen im
Hinblick auf Klima, Sicherheit und die humanitäre Lage müssen gleichzeitig und so schnell wie
möglich angepackt werden.
Aber was heißt eigentlich ‚so schnell wie möglich‘? Neben dem Vorhandensein von
technischen Lösungen, guten politischen Ideen und weitsichtigen Strategien ist bei dieser
Frage vor allem auch das Budget von entscheidender Bedeutung. Der Umfang und die
Zuteilung von Haushaltsmitteln haben erheblichen Einfluss darauf, wie schnell und wie effektiv
Lösungsideen für die aufgeworfenen Probleme umgesetzt werden können. Es ist also bei den
vor uns liegenden Weichenstellungen von entscheidender Bedeutung, die finanziellen
Möglichkeiten unseres Staates richtig einzuschätzen und politische Entscheidungen auf der
Grundlage einer fundierten Kenntnis fiskalischer Vorgänge aufzubauen. Dieser Antrag soll dazu
dienen den Diskurs über die Finanzpolitik mit Hilfe der Modern Monetary Theory (MMT) auf
eine fundierte theoretische Grundlage zu stellen und Perspektiven zu entwickeln, wie
progressive Lösungen der gegenwärtigen Krisen auf dem Fundament einer vernünftigen
Fiskalpolitik aussehen könnten. Die MMT ist eine im akademischen Diskurs breit diskutierte
Geld- und Wirtschaftstheorie, die in Anlehnung an den Keynesianismus makroökonomische
Zusammenhänge auf der Grundlage der Funktionsweise unseres modernen Finanzsystems
erklärt. Im Folgenden wollen wir die zentralen deskriptiven Erkenntnisse der MMT skizzieren
und anschließend auf dieser theoretischen Grundlage unsere wirtschaftspolitischen
Forderungen darlegen.
2. Erkenntnisse der MMT
2.1 Was ist Geld
Modernes Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Der Staat definiert die Währung, in der
Zahlungen an ihn zu tätigen sind und in der er selbst Zahlungen tätigt. In den meisten Staaten
der Europäischen Union heißt diese Währung Euro. Der Staat hat zudem ein Monopol auf die
Schöpfung seiner Währung. In der Eurozone – einer Währungsunion – ist der Prozess der
Währungsschöpfung institutionell etwas komplexer als in einem Staat mit eigener
Landeswährung. Dennoch ändert auch die gemeinsame Währung der Eurozone nichts an der
Tatsache, dass unser Geld ein Produkt der staatlichen (europäischen) Rechtsordnung ist.
Während Bürger:innen und Unternehmen die staatliche Währung einfach nur für ihre
ökonomische Aktivität nutzen, ist der Staat selbst nicht einfacher Nutzer sondern Schöpfer
dieser Währung. Gesetzt den Fall ein Staat bindet seine Währung nicht zu einem fixen Kurs an andere
Vermögenswerte (z.B. Fremdwährungen oder Gold), ist er in seiner Geldpolitik vollkommen
unabhängig. Er kann die Leitzinsen beliebig festsetzen und in beliebigem Umfang Währung in
Umlauf bringen.
Der Staat kann sich in Währungsfragen aber auch Regeln und Einschränkungen auferlegen. Er
kann zum Beispiel seine Währung zu einem festen Austauschverhältnis an andere
Vermögenswerte binden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren deutsche Währungen etwa
zu einem festen Wechselkurs an Gold gebunden (Goldstandard). Nach dem Zweiten Weltkrieg
war die Bundesrepublik Teil des Bretton-Woods-Systems, in dem die Deutsche Mark zu einem
festen Wechselkurs an den US-Dollar gebunden war. Auch das Europäische Währungssystem
(EWS) war ein solches Regime fixierter Wechselkurse. Derartige Währungsanbindungen
schränken den Spielraum eines Staats, die eigene Währung in Umlauf zu bringen und Einfluss
auf Kredit- und Anleihezinsen zu nehmen ein. Wenn bei fixierten Wechselkursen die im Umlauf
befindliche Menge einer Währung ausgeweitet wird, sinkt deren Wert relativ zu der anderen
Währung des Wechselkursregimes. Da aber das Austauschverhältnis fixiert ist, ist die Währung
überbewertet. Das führt zu Kapitalflucht und Wettbewerbsnachteilen im Land mit der
überbewerteten Währung.
Der Euro ist an keine andere bedeutende Währung gebunden. Sein Wechselkurs zu anderen
Währungen ist frei. Deswegen sind die geldpolitischen Institutionen der Eurozone (das System
nationaler Zentralbanken (ESZB) und anderen Spitze die Europäische Zentralbank (EZB)) in
ihrer Geldpolitik unabhängig. Man spricht in diesem Fall von monetärer Souveränität.
2.2 Wie funktionieren Staatsausgaben
Wenn ein Staat mit souveräner Währung Ausgaben tätigt, schöpft er das benötigte Geld kraft
seines Währungsmonopols über seine Zentralbank. Alle Staaten der Eurozone haben ein Konto
bei ihrer nationalen Zentralbank und damit indirekt bei der EZB. In Deutschland ist dies das
Zentralkonto des Bundes bei der Deutschen Bundesbank. Genauso haben Geschäftsbanken
Konten bei ihrer nationalen Zentralbank.
Wenn der deutsche Staat Ausgaben tätigt, passiert Folgendes: Die Bundesbank bucht das
Zentralbankkonto derjenigen Geschäftsbank hoch, bei der der/die Zahlungsempfänger:in der
staatlichen Ausgabe sein/ihr Konto hat. Dafür schreibt die Geschäftsbank den von der
Bundesbank erhaltenen Betrag auf dem Konto des/der Zahlungsempfänger:in gut. In dem
Moment, in dem die Bundesbank das Zentralbankkonto der Geschäftsbank hochbucht, erzeugt
sie Geld. Dieses Geld war zuvor nicht da und wird durch die Gutschrift bei der Geschäftsbank
durch die Bundesbank geschöpft. In der Bilanz der Bundesbank ist dadurch eine zusätzliche
Verbindlichkeit entstanden. Damit die Bilanz der Bundesbank ausgeglichen ist, wird das
Zentralkonto des Bundes um den entsprechenden Betrag belastet. Der Bund hat also
sozusagen jetzt ‚Schulden‘ bei der Bundesbank. Das ist so formal auch logisch, denn schließlich
hat die Bundesbank durch ihre Gelderzeugung ja die Ausgabe des Bundes getätigt. Aber was
ist die Bedeutung dieser ‚Schulden‘?
Der Bund und die Bundesbank sind beide Institutionen des Deutschen Staates. Zu behaupten,
eine staatliche Institution habe Schulden bei der anderen staatlichen Institution ist nicht
sinnvoll. An dem Verschuldungsgrad des Staats als Ganzem ändert das schließlich nichts. Wenn
der Bund 100€ ‚Schulden‘ bei der Bundesbank hat, hat die Bundesbank 100€ ‚Forderungen‘ beim Bund. Damit ist die Nettoverschuldung des Staats trotzdem Null. Natürlich hat die Bundesbank im Beispiel der Staatsausgaben Geld an eine Geschäftsbank bezahlt. Insofern hat der Staatssektor als Ganzes trotzdem eine Netto-Verbindlichkeit gegenüber dem Privatsektor.
Bei den beschriebenen Bilanzausgleichungen wird diese Verbindlichkeit als negatives
Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes abgebildet. Aber von Schulden zu sprechen
wäre dennoch in der Sache falsch, denn das Geld ist ja durch das Hochbuchen des
Zentralbankkontos der Geschäftsbank durch die Bundesbank entstanden. Die Bundesbank hat
sich dieses Geld nirgends ausgeliehen. Sie hat es – kraft ihres Währungsmonopols – einfach
geschaffen. Das negative Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes ist nichts weiter
als der ‚Bilanzschatten‘ dieser Gelderzeugung durch die Zentralbank.
Steuereinnahmen haben hier zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Wie anhand der
beschriebenen Prozesse deutlich wird, könnte der Bund theoretisch bis in alle Ewigkeit in
seiner eigenen Währung Ausgaben tätigen, ohne irgendeiner Instanz oder einem Menschen
dafür etwas schuldig zu sein. Das ist so aus dem einfachen Grund, weil der Staat
Währungsschöpfer ist. Kein:e Bürger:in muss jemals irgendetwas bezahlen, was der Staat
zuvor ausgegeben hat. Der/die Steuerzahler:in bezahlt keine Staatsausgaben und folglich
werden mit Staatsausgaben auch unter keinen Umständen künftige Generationen belastet.
Bei der Steuerzahlung fließt Geld von den Konten von Bürger:innen und Unternehmen über
das Kontensystem der Zentralbank auf das Zentralkonto des Bundes. Hier verringern die
Steuerzahlungen also das negative Nettovermögen des Bundes. Die finanzielle Situation des
Staates ändert das allerdings in keiner Weise. Selbst wenn sich der Staat nach jahrelangen
Haushaltsüberschüssen im herkömmlichen Sinne ‚entschulden‘ und ‚Rücklagen‘ bilden würde,
wäre das finanziell völlig bedeutungslos. Selbst ein positives Nettovermögen auf dem
Zentralkonto des Bundes heißt im Endeffekt nur: Der Bund hat ein Guthaben bei der
Bundesbank, bzw. die Bundesbank hat eine Verbindlichkeit gegenüber dem Bund. Das ist
bedeutungslos, denn das Nettoguthaben oder die Nettoverschuldung des Staats als Ganzem
ist immer noch Null. Das positive Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes verändert
die Möglichkeit Ausgaben zu tätigen in keiner Weise. Steuern finanzieren keine
Staatsausgaben.
Der Staat muss sich also die finanziellen Ressourcen für seine Ausgaben weder von
Steuerzahler:innen beschaffen, noch mittels Krediten vom Privatsektor ausleihen, denn in der
institutionellen Gestalt der Zentralbank ist der Staat selbst unerschöpfliche Quelle von Geld.
Der Staat kann ganz ohne Steuereinnahmen und Kreditaufnahme in seiner eigenen Währung
unbegrenzt Geld ausgeben und wird trotzdem niemals in dieser Währung ‚Pleite gehen‘. Denn
in seiner Ausgabetätigkeit ist es dem Staat unmöglich sich im herkömmlichen Sinne zu
verschulden, da er die ausgegebenen Mittel stets selbst erzeugt. Steuern und staatliche Kredite
(staatliche Kreditaufnahme funktioniert über die Emission von Staatsanleihen) sind für die
Staatsfinanzierung nicht notwendig. Ebenso bedeuten Haushaltsüberschüsse auch keine
erweiterten finanziellen Spielräume für den Staat, denn er kann für seine Ausgabewünsche
unbegrenzt Geld schöpfen – ganz gleich ob er in einer bestimmten Zeitperiode (z.B. einem
Jahr) dem Wirtschaftskreislauf über Steuern weniger, gleich viel, oder mehr Geld entzieht wie
er in dieser Periode ausgegeben hat.
Wir halten fest: Steuern (und Staatsanleihen) finanzieren keine Staatsausgaben und
Haushaltsdefizite sind folglich auch keine Belastung für künftige Generationen. Wozu braucht
es dann überhaupt Steuern und weshalb emittiert der Staat dann Staatsanleihen?
2.3. Wozu Steuern
Obwohl Steuern für die Staatsfinanzierung im monetären Sinne bedeutungslos sind, haben sie
eine große Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. Zunächst dienen sie dazu, dass die
staatliche Währung in Wirtschaft und Bevölkerung akzeptiert wird. Indem der Staat
Steuerforderungen in der von ihm definierten Währung erhebt, schafft er eine Nachfrage für
diese Währung. Schließlich benötigen alle Bürger:innen und Unternehmen die Währung um
ihre Steuerschuld zu tilgen. Darüber hinaus sind Steuern das zentrale Instrument der
Umverteilung von Vermögen und indem sie Bürger:innen und Unternehmen Kaufkraft
entziehen, schaffen sie Platz für die staatliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.
Zuletzt können Konsumsteuern als Lenkungsinstrumente eingesetzt werden, wie das etwa von
der Tabaksteuer bekannt ist. Steuern sind also unverzichtbar – allerdings dienen sie nicht dazu
irgendetwas zu finanzieren. Insofern ist auch die Formel „Starke Schultern müssen mehr
tragen“ in der Sache ökonomisch falsch. Wir brauchen das Geld der Reichen nicht um Armut
zu bekämpfen, den Klimawandel aufzuhalten und humanitäre Katastrophen abzuwenden. Wir
können es ihnen trotzdem wegzunehmen, damit sie mit ihrem Konsum nicht so viele
Treibhausemissionen verursachen, gesellschaftliche Machtasymmetrien aufbauen und keine
Ressourcen in Anspruch nehmen, die anderweitig sinnvoller eingesetzt werden könnten. Das
ist aber eine politische Frage und keine ökonomische. Umverteilung ist selbstverständlich
weiterhin notwendig. Die Sicherstellung formal gleicher Chancen reicht nicht aus, um
gesellschaftliche Asymmetrien gerecht auszugleichen.
Jedenfalls müssen wir unsere linken Narrative von der Vorstellung befreien, der Staat sei
finanziell auf das Geld der Reichen angewiesen. Das zeugt von einer Unkenntnis der
Funktionsweise modernen Geldes und verspielt Vertrauen in unsere ökonomische Kompetenz.
2.4. Wozu Staatsanleihen
Und was ist mit den Staatsanleihen? Staatsanleihen sind verzinste staatliche Wertpapiere, die
von Akteur:innen des Privatsektors erworben werden können. Sie können unterschiedliche
Laufzeiten haben und werden nach Ablauf der Laufzeit vom Staat wieder ausgelöst. Beim Kauf
einer Staatsanleihe geschieht bilanziell genau das gleiche wie bei der Steuerzahlung. Einlagen
auf dem Konto des/der Käufer:in werden gestrichen und auf dem Zentralkonto des Bundes
gutgeschrieben. Sowohl durch Steuereinnahmen als auch durch die Emission von
Staatsanleihen kann der Bund den Saldo auf dem Zentralkonto des Bundes erhöhen.
Wie inzwischen deutlich geworden sein dürfte, ist das für die Tätigung von Staatsausgaben
ökonomisch gesehen völlig unerheblich. Der deutsche Staat hat sich allerdings rechtliche
Auflagen gegeben, welche die Ausgabentätigkeit künstlich einschränken. Genauer handelt es
sich hierbei um die §§ 19 & 20 des Bundesbankgesetzes. Hier ist normiert, dass das
Zentralkonto des Bundes nur innerhalb eines Tages überzogen werden darf, aber nach Ablauf
eines Tages stets wieder ausgeglichen werden muss. Aus rechtlichen – nicht aus ökonomischen
– Gründen darf das Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes also tatsächlich nicht
negativ sein. Aus diesem Grund muss der Bund also tatsächlich bei einer Ausgabe entweder
durch Steuereinnahmen oder die Emission von Staatsanleihen sein Konto ausgleichen. Es
handelt sich hierbei um eine rechtliche Selbstbindung, nicht um eine ökonomische
Notwendigkeit. Auch das muss Basiswissen in der politischen Debatte sein. Wir fordern keine
Abschaffung dieser Regeln. Staatsanleihen sind durchaus sinnvoll, denn erstens sind
Staatsanleihen für den Privatsektor i.d.R. ein risikofreies Sparinstrument und zweitens entzieht
die Begabe von Staatsanleihen dem Privatsektor Kaufkraft, was bei einer umfangreichen
staatlichen Ausgabentätigung zur Stabilisierung des Preisniveaus wichtig ist (siehe nächster
Abschnitt). Allein, Staatsanleihen sind genauso wenig wie Steuern für die Tätigung von
Staatsausgaben notwendig.
2.5 Inflation und realwirtschaftliche Grenzen der Staatsausgaben
Die Frage, wie hoch staatliche Ausgaben idealerweise tatsächlich sein sollten ist aber durch
die schiere theoretische Möglichkeit unbegrenzter Staatsausgaben noch nicht beantwortet.
Wenn Preisstabilität gewährleistet werden soll, können die Staatsausgaben in der Tat nicht
unendlich hoch sein. Schließlich kann vom Staat nur gekauft werden, was in der staatlichen
Währung zum Verkauf steht. Da aufgrund knapper Ressourcen das Angebot an Gütern,
Dienstleistungen und Arbeit begrenzt ist, kann eine zu hohe staatliche Nachfrage zu
steigenden Preisen führen. Allerdings ist das erst der Fall, wenn das Angebot der
nachgefragten Gegenstände selbst nicht mehr steigen kann. Hier liegt also die natürliche
Grenze der staatlichen Ausgabentätigkeit – vorausgesetzt ein konstantes Preisniveau wird
angestrebt (wofür wir selbstverständlich eintreten). Wenn es zu politischen Zwecken (wie dem
Kampf gegen die Klimakrise) notwendig ist, staatlicherseits mehr Ressourcen zu beanspruchen
als nach Abzug der privaten Nachfrage verfügbar sind, muss dem Privatsektor Kaufkraft
entzogen werden, damit das Preisniveau gehalten werden kann. Dafür sind Steuern und
Staatsanleihen probate fiskalische Steuerungsinstrumente.
Inflation ist ein dauerhafter Anstieg des Preisniveaus. Sie kann durch unterschiedlichste
Faktoren bedingt sein. Allgemein wird zwischen der (angebotsseitigen) Kostendruckinflation
und der nachfrageinduzierten Inflation unterschieden. Bei der Kostendruckinflation führen
negative Produktionsschocks (z.B. im Agrarsektor eine klimatisch bedingte Missernte) oder
Friktionen in Lieferketten zu einer Verknappung des Angebots. Bei gleichbleibender Nachfrage
steigt dann der Preis. Bei verbreitet eingesetzten Rohstoffen wie Öl, Gas oder auch Weizen
erhöhen gestiegene Preise unmittelbar die Produktionskosten für zahlreiche weitere
Produkte. Es kommt also zu einer angebotsseitigen Kettenreaktion der Preissteigerungen, die
sich zu einem steigenden allgemeinen Preisniveau aufaddieren. Nachfrageinduzierte Inflation
kommt grob gesagt zustande, wenn die Kaufkraft der Konsument:innen schneller steigt als das
Angebot der Unternehmen. Solche Kaufkraftsteigerungen können etwa die Folge von
Lohnerhöhungen sein. Allerdings wäre es falsch davon auszugehen, dass Lohnsteigerungen
automatisch zu steigenden Preisen führen. Erstens können Unternehmen in einer
Konkurrenzsituation nicht willkürlich ihre Preise anheben, weil sie sonst um ihren Marktanteil
bangen müssten. (Insofern wirken Lohnsteigerungen als Umverteilungsmechanismus von
Kapital zu Arbeit). Zweitens kann eine gestiegene Nachfrage (sofern noch Produktionsfaktoren
verfügbar sind) zu einer Ausweitung der Produktion und ggf. in diesem Zuge durch den
Markteintritt neuer Anbieter sogar zu Preissenkungen führen.
Im schlechtesten Fall wirken beide Kausalfaktoren der Inflation zusammen. Das ist das Szenario
einer Lohn-Preis-Spirale: Gestiegene Preise führen zu höheren Lohnforderungen der
Arbeitnehmer:innen, und die in der Folge steigenden Löhne führen wieder zu noch weiter
steigenden Preisen, da sie ja ihrerseits eine Komponente der Produktionskosten sind.
Von Ausweitungen und Verknappungen der Geldmenge ist die Inflation aber nur bedingt
abhängig. Die monetaristische Idee, dass Inflation immer und überall schlichtweg das Ergebnis
zu expansiver Geldpolitik sei, hat sich nicht bewährt. Sie ist schon allein deshalb falsch, weil
eine Erhöhung der (Zentralbank-)Geldmenge (z.B. durch den Ankauf von Staatsanleihen durch
die Zentralbank) kaum in die Realwirtschaft vordringt. Geschäftsbanken sind heute in ihrer
Kreditvergabe weitgehend unabhängig von der Menge an Zentralbankgeld, die ihnen durch
den Abkauf von Staatsanleihen zur Verfügung gestellt wird. Die Kreditvergabe ist im
Wirtschaftssystem endogen. Die Zentralbank hat allenfalls über den Leitzins Auswirkungen
darauf.
Die gegenwärtig hohen Preissteigungen sind vor allem auf die nach wie vor pandemiebedingte
Beeinträchtigung von Lieferketten und realwirtschaftliche Auswirkungen des russischen
Angriffskriegs in der Ukraine zurückzuführen. Sie haben mit der Geldpolitik der EZB wenig und
mit deren Anleihenkäufen praktisch gar nichts zu tun. Die Geldpolitik kann die Inflation um
den Preis einer Rezession durch scharfe Leitzinserhöhungen bremsen, allerdings sind dadurch
die Inflationsursachen selbst noch lange nicht nachhaltig beseitigt. Inflation ist ein weitgehend
realwirtschaftliches Phänomen und als solches sollte sie auch behandelt werden.
Für die Ausgabentätigkeit des Staats bedeutet diese Erkenntnis, dass eine expansive
Fiskalpolitik ein Inflationsrisiko sein kann, aber nicht sein muss. Steigert der Staat in Zeiten
negativer Angebotsschocks oder im Zustand der Ausreizung der volkswirtschaftlichen
Ressourcen seine Ausgaben kommt es zur Übernachfrage und damit zur Gefahr von
(nachfrageinduzierter) Inflation. Sind allerdings noch Ressourcen verfügbar, führen steigende
Staatsausgaben nicht zur Inflation. Hier zeigt sich wieder: Es gibt eine (sinnvolle) Grenze der
Staatsausgaben, aber die rührt von realwirtschaftlichen Ressourcenknappheiten und nicht von
einer vermeintlichen monetären Knappheit her.
Mit diesen Erkenntnissen über das moderne Finanzsystem im Hinterkopf wollen wir nun einige
wirtschaftspolitische und rechtliche Regelungen adressieren, die nicht im Einklang mit der
theoretischen Vernunft der vorangegangenen makroökonomischen Analyse stehen.
3. Abschaffung der Schuldenbremse
Gemäß der in Art. 115 Abs. 2 GG verankerten sogenannten ‚Schuldenbremse‘ darf die
Bundesregierung grundsätzlich nicht mehr Geld ausgeben, als dem Bundeshaushalt durch
Steuereinnahmen zufließt. Genau genommen darf ein strukturelles Haushaltsdefizit in Höhe
von 0,35% des BIP hingenommen werden (vgl. Art. 115 Abs. 2 GG). Die sogenannte
Konjunkturkomponente in der Schuldenbremse lockert diese harte Budgetrestriktion in
Rezessionszeiten auf. Allerdings sieht die Formulierung im Gesetzestext derartige Ausnahmen
von der Schuldenbremse nur für den Fall vor, wenn das Wirtschaftswachstum signifikant
negativ von seinem Trend abweicht (konventionelle Berechnung der sog. Output-Lücke).
Allerdings kann es sein, dass die volkswirtschaftlichen Ressourcen der Bundesrepublik auch
bei trendmäßig wachsendem BIP nicht ausgelastet sind. In diesem Fall besteht bei einer
Erhöhung der Staatsausgaben kein Inflationsrisiko. Dennoch muss unter der aktuellen Norm
auch in diesem Fall die Schuldenbremse eingehalten werden. Das erschwert den Kampf gegen
Arbeitslosigkeit, Armut und Klimakrise mit dem Instrumentarium der Fiskalpolitik erheblich.
Wie aus dem vorangegangenen Theorieteil hervorgeht, macht eine solche vermeintliche
‚Schulden‘-Regel ökonomisch keinen Sinn. Sie baut auf einem grundfalschen Verständnis
staatlicher Finanzen auf, denn sie behandelt den öffentlichen Haushalt wie einen
Privathaushalt (Währungsnutzer anstatt Währungsschöpfer).
Die neoliberale Sparideologie darf keinen mangelnden Willen für politische Reformen
legitimieren. Notwendige Zukunftsinvestitionen dürfen nicht von willkürlichen Kennzahlen
verzögert werden.
Sowohl in der Zeit der Großen Koalition, als auch unter der neuen Bundesregierung wird
mittelfristig das Ziel ausgeglichener Haushalte angestrebt. Eine solche ökonomisch sinnfreie
heilige Kuh darf nicht das zentrale Leitmotiv bundesdeutscher Fiskalpolitik sein.
4. Die Schuldenregeln der EU
Aus dem gleichen Grund, aus dem wir für eine Abschaffung der Schuldenbremse auf
Bundesebene plädieren, fordern wir die Abschaffung der Schuldenregelungen auf EU-Ebene.
Das betrifft das in Art. 140 Abs. 1 AEUV normierte zweite sogenannte Konvergenzkriterium,
das nach Konkretisierung durch den Rat der Europäischen Union Haushaltsdefizite der
Mitgliedstaaten auf maximal 3% des BIP und die Schuldenstandsquote auf maximal 60%
begrenzt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der das Ziel von ausgeglichenen Haushalten
oder sogar Überschusshaushalten für die EU-Staaten vorschreibt, muss aufgrund seiner
ökonomischen Unsinnigkeit ebenfalls abgeschafft werden. Gleiches gilt für die
Nichtbeistandsklausel, die verbietet, dass ein Mitgliedstaat für die Schulden eines anderen
Mitgliedstaats aufkommt.
Die gegenwärtig zurückhaltende Fiskalpolitik unter den Bedingungen der Maastricht Kriterien
hemmt das europäische Wirtschaftswachstum für Jahrzehnte. Eine Reform der Europäischen
Finanzarchitektur soll diesen Missstand beseitigen. Die von uns vorgeschlagene Reform
beinhaltet neben der bereits genannten Abschaffung der europäischen Schuldenregeln die
Einführung eines Europäischen Finanzministeriums. Ein Europäisches Finanzministerium
könnte die notwendigen Mittel für Projekte bereitstellen, die nur im europäischen Rahmen
sinnvoll implementiert werden können (das Prinzip der Subsidiarität bleibt geachtet). Der in
Teil 7 skizzierte Green New Deal stellt eines dieser Projekte dar. Maßnahmen zum Schutz und
zur Unterstützung Geflüchteter sowie solche zur Stärkung der sicherheitspolitischen
Autonomie der EU fallen aber ebenfalls in diese Kategorie. Das Europäische Finanzministerium
würde Europäische Anleihen emittieren, die dann von privaten Investor:innen auf dem
Primärmarkt erworben werden könnten, wobei eine Ankaufgarantie der EZB auf dem
Sekundärmarkt das Risiko für Investor:innen auf Null reduziert.Die europäische Integration,
hin zu einer ‚ever closer union‘, wird auf diese Weise weiter vorangebracht.
5. Höhere Löhne für die Stabilität der EU
Jede offene Volkswirtschaft besteht aus drei Sektoren: dem öffentlichen Sektor, dem
Privatsektor und dem Ausland. Klar ist, wenn ein Sektor netto spart, muss sich mindestens
ein anderer Sektor netto verschulden um diese Ersparnis zu ermöglichen. Es ist logisch
unmöglich, dass alle drei Sektoren gleichzeitig sparen. Wenn alle Sektoren sparen, gehen die
Ausgaben aller Sektoren zurück. Da aber die Ausgaben eines Akteurs immer gleichzeitig die
Einnahmen eines anderen Akteurs sind, gehen damit logischerweise auch die Einnahmen
zurück. Wenn also alle drei Sektoren sparen wollen, berauben sie sich selbst der
notwendigen finanziellen Ressourcen um zu sparen. Das ist das klassisch keynesiansiche
Sparparadox.
Seit den Agenda-Jahren sind in Deutschland sowohl privater als auch öffentlicher Sektor
regelmäßig gleichzeitig Netto-Sparer. Logischerweise kommt das Geld für das private Sparen
unter Erzielung von öffentlichen Haushaltsüberschüssen aus dem Ausland. Konkret sorgen die
deutschen Handelsbilanzüberschüsse für diesen Geldzufluss. Diese Handelsbilanzüberschüsse
wiederum sind maßgeblich dadurch bedingt, dass in Deutschland seit Beginn des Jahrhunderts
die Löhne nicht mehr im Einklang mit dem Produktivitätswachstum steigen. Durch diese
Niedriglohnpolitik genießt die deutsche Wirtschaft Wettbewerbsvorteile, die aber zulasten der
Konkurrenzfähigkeit anderer europäischer Volkswirtschaften gehen. Dadurch zwingen wir
unsere europäischen Partner (insbesondere die südeuropäischen Staaten) unsere
Handelsbilanzüberschüsse durch eigene Handelsbilanzdefizite auszugleichen. Es ist logisch
notwendig, dass sich unsere europäischen Partner dafür verschulden. Die fehlgeleitete
Fiskalpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass Deutschland seine
Arbeitslosigkeit an seine schwächeren europäischen Nachbarn exportiert und mit seinen
Handelsbilanzüberschüssen südeuropäische Staaten in die Verschuldung gedrängt hat.
Weil uns an einer solidarischen und stabilen Europäischen Union gelegen ist, muss diese Politik
umgekehrt werden! Wir brauchen ein signifikantes Lohnwachstum in Deutschland um unseren
europäischen Partnern wieder faire Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen. Wir fordern
daher eine weitere Anhebung des Mindestlohns und eine ordnungspolitische Stärkung der
Gewerkschaften. In Anbetracht der pandemie- und kriegsbedingten temporären Knappheiten
in der Realwirtschaft sollen diese Maßnahmen behutsam und schrittweise umgesetzt werden.
Außerdem fordern wir eine Abkehr von der harten deutschen Linie in der EU, die
südeuropäischen Staaten zur Lösung eines von Deutschland maßgeblich mitgeschaffenes
Problems eine sozial und ökonomisch verheerende Austeritätskur aufoktroyiert.
6. Die Job-Garantie
Strukturelle Arbeitslosigkeit sowie gesellschaftliche Folgeprobleme, gehörten der
Vergangenheit an. Soziale Isolation, Kriminalität, Landflucht, gesundheitliche und familiäre
Probleme sowie frühzeitige Schulabgänge können nach Verlust einer (eigenen) geregelten
Arbeit zu erheblichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen führen.
Gemeinschaftsbildung, soziales Netzwerken, praxisorientiertes Lernen sowie die Sicherung
von intergenerationeller Stabilität, u.a. können ohne geregelte Beschäftigung, nur schwer ihre
integrativen Kräfte entfalten.
Die Implementierung einer Job-Garantie (JG) soll strukturelle Arbeitslosigkeit und ihre
Folgeprobleme beseitigen. Sie kann zudem helfen die Ziele einer volkswirtschaftlichen
Effizienzsteigerung, einer Reduktion sozialer Reibungspunkte und dem Kampf gegen
vermachtete Ungerechtigkeiten, besser zu erreichen.
Das Ziel des Programms ist es, jeder arbeitswilligen Person eine gemeinnützige Arbeit
anzubieten. Der Staat als ‚Arbeitgeber der letzten Instanz‘ könnte so einen sozial akzeptablen
Mindestlohn und entsprechende Arbeitsbedingungen, auch in der Privatwirtschaft,
durchsetzen. Löhne und Arbeitsbedingungen in der Privatwirtschaft werden natürlicherweise
mindestens auf dem gleichen, wenn nicht sogar auf einem höheren Niveau sein als in der Job-
Garantie. Wäre das nicht der Fall, hätten Arbeitnehmer:innen keinen Anreiz überhaupt von
einem JG-Job in die Privatwirtschaft zu wechseln. Private Arbeitgeber sind so gezwungen
attraktivere Löhne und akzeptable Arbeitsbedingungen zu bieten um überhaupt an
Arbeitskräfte zu gelangen. Der Niedriglohnsektor wird effektiv ausgetrocknet. Die Job-
Garantie wirkt wie ein natürlicher Mindestlohn. Die JG-Jobs werden im Rahmen regionaler
oder kommunaler Ebene vorgeschlagene Projekte angeboten, welche nach Prüfung des
gesellschaftlichen Nutzens und ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten von zentraler Stelle
finanziert werden. Im Rahmen der Jobgarantie könnte die demokratische Partizipation der
Bürger:innen gestärkt werden, indem z.B. Jugendparlamente oder andere überparteiliche
Interessensvertretungen in die Schaffung von JG-Jobs miteinbezogen werden.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten im Falle einer Rezession nicht nur die Nachfrage
und damit die Konjunktur stabilisieren; positiver Nebeneffekt der JG könnte weiterhin eine
höhere Konkurrenz der Unternehmen um Geringverdiener:innen sein. Asymmetrische
Machtkonstellationen auf dem Arbeitsmarkt würden so effektiv bekämpft und
Arbeitsbedingungen verbessert werden. Damit hätten die Arbeitgeber:innen einen Anreiz,
Arbeitskräfte effizienter einzusetzen. Gleichzeitig entsteht ein Depot an qualifizierten und
routinierten Arbeitskräften, das je nach Bedarf der Privatwirtschaft größer oder kleiner ist.
Weiterhin sollte der Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage automatisch für
erhöhte Löhne sorgen, falls der Bedarf an Arbeitskräften in der Privatwirtschaft steigt. Ein
Depot aus arbeitenden Personen, die der Privatwirtschaft potentiell zur Verfügung stehen
(NAIBER), kann flexibler abgerufen werden, wobei Vollbeschäftigung staatlich garantiert wird.
Preisstabilität kann so im Vergleich zu neoklassischen Konzepten oder zum bedingungslosen
Grundeinkommen auf effizientere Weise sichergestellt werden. Sollte die Inflation in einem
Wirtschaftssektor über das von der Regierung angestrebte Ziel hinausgehen wird eine
restriktivere Fiskalpolitik angestrebt, welche Ressourcen aus dem inflationären Sektor
abfließen lassen sollte. Die JG kann dabei als antizyklischer Stabilisator auf die Konjunktur
wirken. Bei starker Konjunktur verringert sich, durch den erhöhten Bedarf an Arbeitskräften
die Zahl der staatlich bezahlten Jobs. Hierdurch sinken gleichzeitig die Staatsausgaben und das
Überhitzen der Konjunktur wird verhindert. Bei schwacher Konjunktur bietet die JG mehr
Stellen an und verhindert so einen Konsumeinbruch. Die JG kompensiert im Gegensatz zur
Arbeitslosenunterstützung oder einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht nur den
Einkommensverlust, sondern auch den Beschäftigungsverlust.
7. Ein ernstgemeinter Europäischer Green New Deal (GND)
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten und gleichzeitig den
gesellschaftlichen Wohlstand kommender Generationen zu sichern, benötigen wir gewaltige
wirtschaftliche Umwälzungen. Weitreichende Reformen, zur Beseitigung dieser Probleme
benötigen allerdings eine breite, gesellschaftliche Mehrheit und müssen deshalb eine
Mehrheit der Bevölkerung besserstellen um demokratisch durchsetzbar zu sein. Ein von der
MMT inspirierter Green New Deal ist unausweichlich.
Der Green New Deal ist ein umfangreiches Investitionsprogramm, das die ökologische
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft immens beschleunigt. Auch eine an dem Ziel
der Klimaneutralität ausgerichtete Jobgarantie kann ein Element des Green New Deals sein.
Ein überzeugender Vorschlag zu der Ausgestaltung eines Green New Deal wurde vom
Democracy in Europe Movement (DiEM25) vorgelegt (https://gnde.diem25.org).
Wie in Teil 2 der Begründung erklärt belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten für den
Green New Deal (GND) lediglich auf die Differenz zwischen den benötigten realen
Ressourcen und den Verfügbaren Ressourcen. Ein Ressourcenbedarf, der über die
gegenwärtig noch verfügbaren Ressourcen hinausgeht, um die Ziele des GND zu erreichen,
kann temporäre Konsumeinschränkungen notwendig machen. Diese können durch diverse
fiskalische Instrumente durchgesetzt werden. So können zum Beispiel erhöhte
Konsumsteuern die Nachfrage drosseln. Alternativ kann auch der obligatorische Transfer
eines gewissen Teils der Arbeitseinkommen auf temporär gesperrte aber verzinste
Sparkonten zu einem Konsumaufschub führen, der Einkommensbezieher:innen aber
langfristig sogar besserstellt. Der finanzielle Spielraum welcher durch das zusätzliche Budget
freigesetzt wurde muss eingesetzt werden, um Europas Klimaneutralität bis 2035
sicherzustellen.
8. Eine teilweise Monetarisierung der Care-Arbeit
Gerade der Wirtschaftssektor der Sozialfürsorge wird in klassischen Wirtschaftsmodellen
häufig vernachlässigt. Die Unterteilung in eine Produktions- und eine private Sphäre erscheint
willkürlich. Essenzielle Bereiche wirtschaftlicher Aktivität werden demnach ignoriert,
übersehen oder unterbewertet. Care-Arbeit muss deshalb vom Staat entsprechend vergütet
werden.
Care-Arbeit lässt sich schwer auf klassische, wirtschaftliche Modelle übertragen. Ein Fokus auf
Wachstum und Effizienzsteigerung kann in der Care Arbeit nicht zu einer Qualitätssteigerung
führen. Die Job-Garantie könnte nicht nur für bessere Bedingungen für alle Beteiligten in der
Sozialfürsorge führen. Auch erlauben die Erkenntnisse der MMT eine konjunkturunabhängige
staatliche Vergütung von Care-Arbeit über den Rahmen der Job-Garantie hinaus. Auch könnte
bisher unbezahlte Care-Arbeit durch die Anerkennung als JG-Job entsprechend vergütet
werden. Eine Leistung von der - vor allem - aber nicht ausschließlich Finta-Personen
profitieren. Die bezahlte Care-Arbeit würde demnach als Ergänzung bei struktureller,
marktwirtschaftlicher Unterversorgung dienen.
9. Schlussbemerkungen
In Thüringen bemerken wir jetzt schon, welche verheerenden Folgen fehlgeleitete Sparpolitik
für Zivilgesellschaft, den Gesundheitssektor, Arbeitnehmer:innen, Schüler:innen und
Hiflsbedürftige hat. Entscheidungsträger:innen dürfen sich nicht mehr hinter dem
Scheinargument der Bugetrestriktionen verstecken. Die erheblich größeren Budgetfreiräume
ermöglichen es uns, progressive Projekte deutlich schneller voranzutreiben.
Die MMT verspricht einige systemische Fehler des Kapitalismus abzumildern, kann allerdings
nicht grundsätzliche Widersprüche auflösen. Ziel muss es deshalb sein, mithilfe der MMT
den Kapitalismus zu überwinden. Auch für nicht arbeitswillige Personen muss eine
menschenwürdige Versorgung gewährleistet werden. Ein progressiveres Steuersystem bleibt
weiterhin unausweichlich, auch wenn dieses nicht zur Staatsfinanzierung beiträgt, sondern
für Infaltionsregulierung und zur Abmilderung sozialer Verwerfungen sorgt. Wir sehen die
MMT als eine Hilfestellung für die allmähliche Einführung des Sozialismus an.
Um den Herausforderungen der Zwanzigerjahre in Bezug auf Klimakrise,
Sicherheitspolitik, Armut, Gender-Ungleichheit sowie Flucht und Migration
kraftvoll zu begegnen, fordern wir eine Zeitenwende in der deutschen und
europäischen Finanzpolitik. Mit der Modern Monetary Theory (MMT) soll sie auf
ein zeitgemäßes wissenschaftliches Fundament gestellt werden (Begründung, Teil
2). Unsere konkreten Forderungen, die sich aus dem Zusammentreffen der
Erkenntnisse der MMT und unseren sozialdemokratischen Überzeugungen ergeben sind
folgende:
• Wir fordern eine grundsätzliche Abschaffung der Schuldenbremse aus Art. 115
Abs. 2 GG. Stattdessen soll Art. 115 Abs. 2 GG die deutsche Fiskalpolitik an
einen Vierklang aus folgenden Zielen binden: Klimaschutz, Vollbeschäftigung,
Armutsbekämpfung und Preisstabilität. (Begründung, Teil 3)
• Wir fordern eine Abschaffung der Europäischen Schuldenregeln, der Nicht-
Beistandsklausel und des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts.
Stattdessen soll ein Europäisches Finanzministerium die Tätigung notwendiger
Investitionen in
Klimaschutz, Armutsbekämpfung, Sicherheit und humanitäre Hilfe sicherstellen.
(Begründung, Teil 4)
• Wir fordern eine weitere Anhebung des Mindestlohns und eine ordnungspolitische
Stärkung der Gewerkschaften. (Begründung, Teil 5)
• Wir fordern die Implementierung einer Job-Garantie (JG) zur Sicherstellung von
Vollbeschäftigung, einem menschenwürdigen Existenzminimum und konjunktureller
Stabilität. (Begründung, Teil 6)
• Wir fordern die Implementierung eines Europäischen Green New Deals (GND) zur
effektiven Bekämpfung der Klimakrise unter Berücksichtigung der sozialen Frage.
(Begründung, Teil 7)
• Wir fordern eine staatliche Vergütung von Care-Arbeit. (Begründung, Teil 8)
Wir betrachten die aufgeführten Maßnahmen als Meilensteine auf dem Weg die
Unzulänglichkeiten des Kapitalismus zu überwinden, sind uns aber voll bewusst,
dass dieser Weg durch die genannten Korrekturen in der Finanzpolitik noch lange
nicht zu Ende ist.
1. Einleitendes
Die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhundert sind ein Jahrzehnt, in dem schicksalhafte
Entscheidungen über die Zukunft der Bürger:innen in Deutschland, aber darüber hinaus in
ganz Europa und der ganzen Welt getroffen werden. Es hängt von den Weichenstellungen in
diesem Jahrzehnt ab, ob die Klimakrise auf ein Ausmaß zu begrenzen ist, welches das Leben
auf unserem Planeten in der Form wie wir es kennen weiterhin möglich macht. Es hängt
ebenfalls von den Weichenstellungen in diesem Jahrzehnt ab, ob sich die Europäische
Staatengemeinschaft effektiv gegen militärische und terroristische Bedrohungen schützen
kann und ob sie weiterhin ein beachteter und einflussreicher Akteur ist. Angesichts dieser
epochalen Weichenstellungen, die in den kommenden Jahren zu treffen sind, lastet die
Verantwortung, die auf den politischen Entscheidungsträger:innen, aber auch auf jeder:m
Bürger:in gewaltig. Als Jusos verstehen wir es als integralen Teil dieser Verantwortung, bei den
genannten Weichenstellungen alle Angehörigen unserer Gesellschaft mitzudenken und Kosten
und Nutzen sozial gerecht zu verteilen.
Wir sind uns einig – die ökologische Transformation unserer Zivilisation muss so schnell wie
möglich erfolgen. Ebenso dürfen wir bei der Gewährleistung unserer Sicherheit keinen Tag
nachlässig sein. Humanitäre Notlagen, wie die Lebensumstände von Menschen die bei uns
Schutz vor Elend, Tod und Verfolgung suchen, dürfen wir keinen Augenblick hinnehmen. Dass
die Klimakrise, die Sicherheitskrise und die vielen humanitären Krisen kausal miteinander
zusammenhängen, zeigt zudem, dass auch eine sinnvolle Lösung dieser Krisen nur
zusammenhängend gedacht werden kann. Es ist also deutlich: die Herausforderungen im
Hinblick auf Klima, Sicherheit und die humanitäre Lage müssen gleichzeitig und so schnell wie
möglich angepackt werden.
Aber was heißt eigentlich ‚so schnell wie möglich‘? Neben dem Vorhandensein von
technischen Lösungen, guten politischen Ideen und weitsichtigen Strategien ist bei dieser
Frage vor allem auch das Budget von entscheidender Bedeutung. Der Umfang und die
Zuteilung von Haushaltsmitteln haben erheblichen Einfluss darauf, wie schnell und wie effektiv
Lösungsideen für die aufgeworfenen Probleme umgesetzt werden können. Es ist also bei den
vor uns liegenden Weichenstellungen von entscheidender Bedeutung, die finanziellen
Möglichkeiten unseres Staates richtig einzuschätzen und politische Entscheidungen auf der
Grundlage einer fundierten Kenntnis fiskalischer Vorgänge aufzubauen. Dieser Antrag soll dazu
dienen den Diskurs über die Finanzpolitik mit Hilfe der Modern Monetary Theory (MMT) auf
eine fundierte theoretische Grundlage zu stellen und Perspektiven zu entwickeln, wie
progressive Lösungen der gegenwärtigen Krisen auf dem Fundament einer vernünftigen
Fiskalpolitik aussehen könnten. Die MMT ist eine im akademischen Diskurs breit diskutierte
Geld- und Wirtschaftstheorie, die in Anlehnung an den Keynesianismus makroökonomische
Zusammenhänge auf der Grundlage der Funktionsweise unseres modernen Finanzsystems
erklärt. Im Folgenden wollen wir die zentralen deskriptiven Erkenntnisse der MMT skizzieren
und anschließend auf dieser theoretischen Grundlage unsere wirtschaftspolitischen
Forderungen darlegen.
2. Erkenntnisse der MMT
2.1 Was ist Geld
Modernes Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung. Der Staat definiert die Währung, in der
Zahlungen an ihn zu tätigen sind und in der er selbst Zahlungen tätigt. In den meisten Staaten
der Europäischen Union heißt diese Währung Euro. Der Staat hat zudem ein Monopol auf die
Schöpfung seiner Währung. In der Eurozone – einer Währungsunion – ist der Prozess der
Währungsschöpfung institutionell etwas komplexer als in einem Staat mit eigener
Landeswährung. Dennoch ändert auch die gemeinsame Währung der Eurozone nichts an der
Tatsache, dass unser Geld ein Produkt der staatlichen (europäischen) Rechtsordnung ist.
Während Bürger:innen und Unternehmen die staatliche Währung einfach nur für ihre
ökonomische Aktivität nutzen, ist der Staat selbst nicht einfacher Nutzer sondern Schöpfer
dieser Währung. Gesetzt den Fall ein Staat bindet seine Währung nicht zu einem fixen Kurs an andere
Vermögenswerte (z.B. Fremdwährungen oder Gold), ist er in seiner Geldpolitik vollkommen
unabhängig. Er kann die Leitzinsen beliebig festsetzen und in beliebigem Umfang Währung in
Umlauf bringen.
Der Staat kann sich in Währungsfragen aber auch Regeln und Einschränkungen auferlegen. Er
kann zum Beispiel seine Währung zu einem festen Austauschverhältnis an andere
Vermögenswerte binden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren deutsche Währungen etwa
zu einem festen Wechselkurs an Gold gebunden (Goldstandard). Nach dem Zweiten Weltkrieg
war die Bundesrepublik Teil des Bretton-Woods-Systems, in dem die Deutsche Mark zu einem
festen Wechselkurs an den US-Dollar gebunden war. Auch das Europäische Währungssystem
(EWS) war ein solches Regime fixierter Wechselkurse. Derartige Währungsanbindungen
schränken den Spielraum eines Staats, die eigene Währung in Umlauf zu bringen und Einfluss
auf Kredit- und Anleihezinsen zu nehmen ein. Wenn bei fixierten Wechselkursen die im Umlauf
befindliche Menge einer Währung ausgeweitet wird, sinkt deren Wert relativ zu der anderen
Währung des Wechselkursregimes. Da aber das Austauschverhältnis fixiert ist, ist die Währung
überbewertet. Das führt zu Kapitalflucht und Wettbewerbsnachteilen im Land mit der
überbewerteten Währung.
Der Euro ist an keine andere bedeutende Währung gebunden. Sein Wechselkurs zu anderen
Währungen ist frei. Deswegen sind die geldpolitischen Institutionen der Eurozone (das System
nationaler Zentralbanken (ESZB) und anderen Spitze die Europäische Zentralbank (EZB)) in
ihrer Geldpolitik unabhängig. Man spricht in diesem Fall von monetärer Souveränität.
2.2 Wie funktionieren Staatsausgaben
Wenn ein Staat mit souveräner Währung Ausgaben tätigt, schöpft er das benötigte Geld kraft
seines Währungsmonopols über seine Zentralbank. Alle Staaten der Eurozone haben ein Konto
bei ihrer nationalen Zentralbank und damit indirekt bei der EZB. In Deutschland ist dies das
Zentralkonto des Bundes bei der Deutschen Bundesbank. Genauso haben Geschäftsbanken
Konten bei ihrer nationalen Zentralbank.
Wenn der deutsche Staat Ausgaben tätigt, passiert Folgendes: Die Bundesbank bucht das
Zentralbankkonto derjenigen Geschäftsbank hoch, bei der der/die Zahlungsempfänger:in der
staatlichen Ausgabe sein/ihr Konto hat. Dafür schreibt die Geschäftsbank den von der
Bundesbank erhaltenen Betrag auf dem Konto des/der Zahlungsempfänger:in gut. In dem
Moment, in dem die Bundesbank das Zentralbankkonto der Geschäftsbank hochbucht, erzeugt
sie Geld. Dieses Geld war zuvor nicht da und wird durch die Gutschrift bei der Geschäftsbank
durch die Bundesbank geschöpft. In der Bilanz der Bundesbank ist dadurch eine zusätzliche
Verbindlichkeit entstanden. Damit die Bilanz der Bundesbank ausgeglichen ist, wird das
Zentralkonto des Bundes um den entsprechenden Betrag belastet. Der Bund hat also
sozusagen jetzt ‚Schulden‘ bei der Bundesbank. Das ist so formal auch logisch, denn schließlich
hat die Bundesbank durch ihre Gelderzeugung ja die Ausgabe des Bundes getätigt. Aber was
ist die Bedeutung dieser ‚Schulden‘?
Der Bund und die Bundesbank sind beide Institutionen des Deutschen Staates. Zu behaupten,
eine staatliche Institution habe Schulden bei der anderen staatlichen Institution ist nicht
sinnvoll. An dem Verschuldungsgrad des Staats als Ganzem ändert das schließlich nichts. Wenn
der Bund 100€ ‚Schulden‘ bei der Bundesbank hat, hat die Bundesbank 100€ ‚Forderungen‘ beim Bund. Damit ist die Nettoverschuldung des Staats trotzdem Null. Natürlich hat die Bundesbank im Beispiel der Staatsausgaben Geld an eine Geschäftsbank bezahlt. Insofern hat der Staatssektor als Ganzes trotzdem eine Netto-Verbindlichkeit gegenüber dem Privatsektor.
Bei den beschriebenen Bilanzausgleichungen wird diese Verbindlichkeit als negatives
Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes abgebildet. Aber von Schulden zu sprechen
wäre dennoch in der Sache falsch, denn das Geld ist ja durch das Hochbuchen des
Zentralbankkontos der Geschäftsbank durch die Bundesbank entstanden. Die Bundesbank hat
sich dieses Geld nirgends ausgeliehen. Sie hat es – kraft ihres Währungsmonopols – einfach
geschaffen. Das negative Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes ist nichts weiter
als der ‚Bilanzschatten‘ dieser Gelderzeugung durch die Zentralbank.
Steuereinnahmen haben hier zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Wie anhand der
beschriebenen Prozesse deutlich wird, könnte der Bund theoretisch bis in alle Ewigkeit in
seiner eigenen Währung Ausgaben tätigen, ohne irgendeiner Instanz oder einem Menschen
dafür etwas schuldig zu sein. Das ist so aus dem einfachen Grund, weil der Staat
Währungsschöpfer ist. Kein:e Bürger:in muss jemals irgendetwas bezahlen, was der Staat
zuvor ausgegeben hat. Der/die Steuerzahler:in bezahlt keine Staatsausgaben und folglich
werden mit Staatsausgaben auch unter keinen Umständen künftige Generationen belastet.
Bei der Steuerzahlung fließt Geld von den Konten von Bürger:innen und Unternehmen über
das Kontensystem der Zentralbank auf das Zentralkonto des Bundes. Hier verringern die
Steuerzahlungen also das negative Nettovermögen des Bundes. Die finanzielle Situation des
Staates ändert das allerdings in keiner Weise. Selbst wenn sich der Staat nach jahrelangen
Haushaltsüberschüssen im herkömmlichen Sinne ‚entschulden‘ und ‚Rücklagen‘ bilden würde,
wäre das finanziell völlig bedeutungslos. Selbst ein positives Nettovermögen auf dem
Zentralkonto des Bundes heißt im Endeffekt nur: Der Bund hat ein Guthaben bei der
Bundesbank, bzw. die Bundesbank hat eine Verbindlichkeit gegenüber dem Bund. Das ist
bedeutungslos, denn das Nettoguthaben oder die Nettoverschuldung des Staats als Ganzem
ist immer noch Null. Das positive Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes verändert
die Möglichkeit Ausgaben zu tätigen in keiner Weise. Steuern finanzieren keine
Staatsausgaben.
Der Staat muss sich also die finanziellen Ressourcen für seine Ausgaben weder von
Steuerzahler:innen beschaffen, noch mittels Krediten vom Privatsektor ausleihen, denn in der
institutionellen Gestalt der Zentralbank ist der Staat selbst unerschöpfliche Quelle von Geld.
Der Staat kann ganz ohne Steuereinnahmen und Kreditaufnahme in seiner eigenen Währung
unbegrenzt Geld ausgeben und wird trotzdem niemals in dieser Währung ‚Pleite gehen‘. Denn
in seiner Ausgabetätigkeit ist es dem Staat unmöglich sich im herkömmlichen Sinne zu
verschulden, da er die ausgegebenen Mittel stets selbst erzeugt. Steuern und staatliche Kredite
(staatliche Kreditaufnahme funktioniert über die Emission von Staatsanleihen) sind für die
Staatsfinanzierung nicht notwendig. Ebenso bedeuten Haushaltsüberschüsse auch keine
erweiterten finanziellen Spielräume für den Staat, denn er kann für seine Ausgabewünsche
unbegrenzt Geld schöpfen – ganz gleich ob er in einer bestimmten Zeitperiode (z.B. einem
Jahr) dem Wirtschaftskreislauf über Steuern weniger, gleich viel, oder mehr Geld entzieht wie
er in dieser Periode ausgegeben hat.
Wir halten fest: Steuern (und Staatsanleihen) finanzieren keine Staatsausgaben und
Haushaltsdefizite sind folglich auch keine Belastung für künftige Generationen. Wozu braucht
es dann überhaupt Steuern und weshalb emittiert der Staat dann Staatsanleihen?
2.3. Wozu Steuern
Obwohl Steuern für die Staatsfinanzierung im monetären Sinne bedeutungslos sind, haben sie
eine große Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. Zunächst dienen sie dazu, dass die
staatliche Währung in Wirtschaft und Bevölkerung akzeptiert wird. Indem der Staat
Steuerforderungen in der von ihm definierten Währung erhebt, schafft er eine Nachfrage für
diese Währung. Schließlich benötigen alle Bürger:innen und Unternehmen die Währung um
ihre Steuerschuld zu tilgen. Darüber hinaus sind Steuern das zentrale Instrument der
Umverteilung von Vermögen und indem sie Bürger:innen und Unternehmen Kaufkraft
entziehen, schaffen sie Platz für die staatliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.
Zuletzt können Konsumsteuern als Lenkungsinstrumente eingesetzt werden, wie das etwa von
der Tabaksteuer bekannt ist. Steuern sind also unverzichtbar – allerdings dienen sie nicht dazu
irgendetwas zu finanzieren. Insofern ist auch die Formel „Starke Schultern müssen mehr
tragen“ in der Sache ökonomisch falsch. Wir brauchen das Geld der Reichen nicht um Armut
zu bekämpfen, den Klimawandel aufzuhalten und humanitäre Katastrophen abzuwenden. Wir
können es ihnen trotzdem wegzunehmen, damit sie mit ihrem Konsum nicht so viele
Treibhausemissionen verursachen, gesellschaftliche Machtasymmetrien aufbauen und keine
Ressourcen in Anspruch nehmen, die anderweitig sinnvoller eingesetzt werden könnten. Das
ist aber eine politische Frage und keine ökonomische. Umverteilung ist selbstverständlich
weiterhin notwendig. Die Sicherstellung formal gleicher Chancen reicht nicht aus, um
gesellschaftliche Asymmetrien gerecht auszugleichen.
Jedenfalls müssen wir unsere linken Narrative von der Vorstellung befreien, der Staat sei
finanziell auf das Geld der Reichen angewiesen. Das zeugt von einer Unkenntnis der
Funktionsweise modernen Geldes und verspielt Vertrauen in unsere ökonomische Kompetenz.
2.4. Wozu Staatsanleihen
Und was ist mit den Staatsanleihen? Staatsanleihen sind verzinste staatliche Wertpapiere, die
von Akteur:innen des Privatsektors erworben werden können. Sie können unterschiedliche
Laufzeiten haben und werden nach Ablauf der Laufzeit vom Staat wieder ausgelöst. Beim Kauf
einer Staatsanleihe geschieht bilanziell genau das gleiche wie bei der Steuerzahlung. Einlagen
auf dem Konto des/der Käufer:in werden gestrichen und auf dem Zentralkonto des Bundes
gutgeschrieben. Sowohl durch Steuereinnahmen als auch durch die Emission von
Staatsanleihen kann der Bund den Saldo auf dem Zentralkonto des Bundes erhöhen.
Wie inzwischen deutlich geworden sein dürfte, ist das für die Tätigung von Staatsausgaben
ökonomisch gesehen völlig unerheblich. Der deutsche Staat hat sich allerdings rechtliche
Auflagen gegeben, welche die Ausgabentätigkeit künstlich einschränken. Genauer handelt es
sich hierbei um die §§ 19 & 20 des Bundesbankgesetzes. Hier ist normiert, dass das
Zentralkonto des Bundes nur innerhalb eines Tages überzogen werden darf, aber nach Ablauf
eines Tages stets wieder ausgeglichen werden muss. Aus rechtlichen – nicht aus ökonomischen
– Gründen darf das Nettovermögen auf dem Zentralkonto des Bundes also tatsächlich nicht
negativ sein. Aus diesem Grund muss der Bund also tatsächlich bei einer Ausgabe entweder
durch Steuereinnahmen oder die Emission von Staatsanleihen sein Konto ausgleichen. Es
handelt sich hierbei um eine rechtliche Selbstbindung, nicht um eine ökonomische
Notwendigkeit. Auch das muss Basiswissen in der politischen Debatte sein. Wir fordern keine
Abschaffung dieser Regeln. Staatsanleihen sind durchaus sinnvoll, denn erstens sind
Staatsanleihen für den Privatsektor i.d.R. ein risikofreies Sparinstrument und zweitens entzieht
die Begabe von Staatsanleihen dem Privatsektor Kaufkraft, was bei einer umfangreichen
staatlichen Ausgabentätigung zur Stabilisierung des Preisniveaus wichtig ist (siehe nächster
Abschnitt). Allein, Staatsanleihen sind genauso wenig wie Steuern für die Tätigung von
Staatsausgaben notwendig.
2.5 Inflation und realwirtschaftliche Grenzen der Staatsausgaben
Die Frage, wie hoch staatliche Ausgaben idealerweise tatsächlich sein sollten ist aber durch
die schiere theoretische Möglichkeit unbegrenzter Staatsausgaben noch nicht beantwortet.
Wenn Preisstabilität gewährleistet werden soll, können die Staatsausgaben in der Tat nicht
unendlich hoch sein. Schließlich kann vom Staat nur gekauft werden, was in der staatlichen
Währung zum Verkauf steht. Da aufgrund knapper Ressourcen das Angebot an Gütern,
Dienstleistungen und Arbeit begrenzt ist, kann eine zu hohe staatliche Nachfrage zu
steigenden Preisen führen. Allerdings ist das erst der Fall, wenn das Angebot der
nachgefragten Gegenstände selbst nicht mehr steigen kann. Hier liegt also die natürliche
Grenze der staatlichen Ausgabentätigkeit – vorausgesetzt ein konstantes Preisniveau wird
angestrebt (wofür wir selbstverständlich eintreten). Wenn es zu politischen Zwecken (wie dem
Kampf gegen die Klimakrise) notwendig ist, staatlicherseits mehr Ressourcen zu beanspruchen
als nach Abzug der privaten Nachfrage verfügbar sind, muss dem Privatsektor Kaufkraft
entzogen werden, damit das Preisniveau gehalten werden kann. Dafür sind Steuern und
Staatsanleihen probate fiskalische Steuerungsinstrumente.
Inflation ist ein dauerhafter Anstieg des Preisniveaus. Sie kann durch unterschiedlichste
Faktoren bedingt sein. Allgemein wird zwischen der (angebotsseitigen) Kostendruckinflation
und der nachfrageinduzierten Inflation unterschieden. Bei der Kostendruckinflation führen
negative Produktionsschocks (z.B. im Agrarsektor eine klimatisch bedingte Missernte) oder
Friktionen in Lieferketten zu einer Verknappung des Angebots. Bei gleichbleibender Nachfrage
steigt dann der Preis. Bei verbreitet eingesetzten Rohstoffen wie Öl, Gas oder auch Weizen
erhöhen gestiegene Preise unmittelbar die Produktionskosten für zahlreiche weitere
Produkte. Es kommt also zu einer angebotsseitigen Kettenreaktion der Preissteigerungen, die
sich zu einem steigenden allgemeinen Preisniveau aufaddieren. Nachfrageinduzierte Inflation
kommt grob gesagt zustande, wenn die Kaufkraft der Konsument:innen schneller steigt als das
Angebot der Unternehmen. Solche Kaufkraftsteigerungen können etwa die Folge von
Lohnerhöhungen sein. Allerdings wäre es falsch davon auszugehen, dass Lohnsteigerungen
automatisch zu steigenden Preisen führen. Erstens können Unternehmen in einer
Konkurrenzsituation nicht willkürlich ihre Preise anheben, weil sie sonst um ihren Marktanteil
bangen müssten. (Insofern wirken Lohnsteigerungen als Umverteilungsmechanismus von
Kapital zu Arbeit). Zweitens kann eine gestiegene Nachfrage (sofern noch Produktionsfaktoren
verfügbar sind) zu einer Ausweitung der Produktion und ggf. in diesem Zuge durch den
Markteintritt neuer Anbieter sogar zu Preissenkungen führen.
Im schlechtesten Fall wirken beide Kausalfaktoren der Inflation zusammen. Das ist das Szenario
einer Lohn-Preis-Spirale: Gestiegene Preise führen zu höheren Lohnforderungen der
Arbeitnehmer:innen, und die in der Folge steigenden Löhne führen wieder zu noch weiter
steigenden Preisen, da sie ja ihrerseits eine Komponente der Produktionskosten sind.
Von Ausweitungen und Verknappungen der Geldmenge ist die Inflation aber nur bedingt
abhängig. Die monetaristische Idee, dass Inflation immer und überall schlichtweg das Ergebnis
zu expansiver Geldpolitik sei, hat sich nicht bewährt. Sie ist schon allein deshalb falsch, weil
eine Erhöhung der (Zentralbank-)Geldmenge (z.B. durch den Ankauf von Staatsanleihen durch
die Zentralbank) kaum in die Realwirtschaft vordringt. Geschäftsbanken sind heute in ihrer
Kreditvergabe weitgehend unabhängig von der Menge an Zentralbankgeld, die ihnen durch
den Abkauf von Staatsanleihen zur Verfügung gestellt wird. Die Kreditvergabe ist im
Wirtschaftssystem endogen. Die Zentralbank hat allenfalls über den Leitzins Auswirkungen
darauf.
Die gegenwärtig hohen Preissteigungen sind vor allem auf die nach wie vor pandemiebedingte
Beeinträchtigung von Lieferketten und realwirtschaftliche Auswirkungen des russischen
Angriffskriegs in der Ukraine zurückzuführen. Sie haben mit der Geldpolitik der EZB wenig und
mit deren Anleihenkäufen praktisch gar nichts zu tun. Die Geldpolitik kann die Inflation um
den Preis einer Rezession durch scharfe Leitzinserhöhungen bremsen, allerdings sind dadurch
die Inflationsursachen selbst noch lange nicht nachhaltig beseitigt. Inflation ist ein weitgehend
realwirtschaftliches Phänomen und als solches sollte sie auch behandelt werden.
Für die Ausgabentätigkeit des Staats bedeutet diese Erkenntnis, dass eine expansive
Fiskalpolitik ein Inflationsrisiko sein kann, aber nicht sein muss. Steigert der Staat in Zeiten
negativer Angebotsschocks oder im Zustand der Ausreizung der volkswirtschaftlichen
Ressourcen seine Ausgaben kommt es zur Übernachfrage und damit zur Gefahr von
(nachfrageinduzierter) Inflation. Sind allerdings noch Ressourcen verfügbar, führen steigende
Staatsausgaben nicht zur Inflation. Hier zeigt sich wieder: Es gibt eine (sinnvolle) Grenze der
Staatsausgaben, aber die rührt von realwirtschaftlichen Ressourcenknappheiten und nicht von
einer vermeintlichen monetären Knappheit her.
Mit diesen Erkenntnissen über das moderne Finanzsystem im Hinterkopf wollen wir nun einige
wirtschaftspolitische und rechtliche Regelungen adressieren, die nicht im Einklang mit der
theoretischen Vernunft der vorangegangenen makroökonomischen Analyse stehen.
3. Abschaffung der Schuldenbremse
Gemäß der in Art. 115 Abs. 2 GG verankerten sogenannten ‚Schuldenbremse‘ darf die
Bundesregierung grundsätzlich nicht mehr Geld ausgeben, als dem Bundeshaushalt durch
Steuereinnahmen zufließt. Genau genommen darf ein strukturelles Haushaltsdefizit in Höhe
von 0,35% des BIP hingenommen werden (vgl. Art. 115 Abs. 2 GG). Die sogenannte
Konjunkturkomponente in der Schuldenbremse lockert diese harte Budgetrestriktion in
Rezessionszeiten auf. Allerdings sieht die Formulierung im Gesetzestext derartige Ausnahmen
von der Schuldenbremse nur für den Fall vor, wenn das Wirtschaftswachstum signifikant
negativ von seinem Trend abweicht (konventionelle Berechnung der sog. Output-Lücke).
Allerdings kann es sein, dass die volkswirtschaftlichen Ressourcen der Bundesrepublik auch
bei trendmäßig wachsendem BIP nicht ausgelastet sind. In diesem Fall besteht bei einer
Erhöhung der Staatsausgaben kein Inflationsrisiko. Dennoch muss unter der aktuellen Norm
auch in diesem Fall die Schuldenbremse eingehalten werden. Das erschwert den Kampf gegen
Arbeitslosigkeit, Armut und Klimakrise mit dem Instrumentarium der Fiskalpolitik erheblich.
Wie aus dem vorangegangenen Theorieteil hervorgeht, macht eine solche vermeintliche
‚Schulden‘-Regel ökonomisch keinen Sinn. Sie baut auf einem grundfalschen Verständnis
staatlicher Finanzen auf, denn sie behandelt den öffentlichen Haushalt wie einen
Privathaushalt (Währungsnutzer anstatt Währungsschöpfer).
Die neoliberale Sparideologie darf keinen mangelnden Willen für politische Reformen
legitimieren. Notwendige Zukunftsinvestitionen dürfen nicht von willkürlichen Kennzahlen
verzögert werden.
Sowohl in der Zeit der Großen Koalition, als auch unter der neuen Bundesregierung wird
mittelfristig das Ziel ausgeglichener Haushalte angestrebt. Eine solche ökonomisch sinnfreie
heilige Kuh darf nicht das zentrale Leitmotiv bundesdeutscher Fiskalpolitik sein.
4. Die Schuldenregeln der EU
Aus dem gleichen Grund, aus dem wir für eine Abschaffung der Schuldenbremse auf
Bundesebene plädieren, fordern wir die Abschaffung der Schuldenregelungen auf EU-Ebene.
Das betrifft das in Art. 140 Abs. 1 AEUV normierte zweite sogenannte Konvergenzkriterium,
das nach Konkretisierung durch den Rat der Europäischen Union Haushaltsdefizite der
Mitgliedstaaten auf maximal 3% des BIP und die Schuldenstandsquote auf maximal 60%
begrenzt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der das Ziel von ausgeglichenen Haushalten
oder sogar Überschusshaushalten für die EU-Staaten vorschreibt, muss aufgrund seiner
ökonomischen Unsinnigkeit ebenfalls abgeschafft werden. Gleiches gilt für die
Nichtbeistandsklausel, die verbietet, dass ein Mitgliedstaat für die Schulden eines anderen
Mitgliedstaats aufkommt.
Die gegenwärtig zurückhaltende Fiskalpolitik unter den Bedingungen der Maastricht Kriterien
hemmt das europäische Wirtschaftswachstum für Jahrzehnte. Eine Reform der Europäischen
Finanzarchitektur soll diesen Missstand beseitigen. Die von uns vorgeschlagene Reform
beinhaltet neben der bereits genannten Abschaffung der europäischen Schuldenregeln die
Einführung eines Europäischen Finanzministeriums. Ein Europäisches Finanzministerium
könnte die notwendigen Mittel für Projekte bereitstellen, die nur im europäischen Rahmen
sinnvoll implementiert werden können (das Prinzip der Subsidiarität bleibt geachtet). Der in
Teil 7 skizzierte Green New Deal stellt eines dieser Projekte dar. Maßnahmen zum Schutz und
zur Unterstützung Geflüchteter sowie solche zur Stärkung der sicherheitspolitischen
Autonomie der EU fallen aber ebenfalls in diese Kategorie. Das Europäische Finanzministerium
würde Europäische Anleihen emittieren, die dann von privaten Investor:innen auf dem
Primärmarkt erworben werden könnten, wobei eine Ankaufgarantie der EZB auf dem
Sekundärmarkt das Risiko für Investor:innen auf Null reduziert.Die europäische Integration,
hin zu einer ‚ever closer union‘, wird auf diese Weise weiter vorangebracht.
5. Höhere Löhne für die Stabilität der EU
Jede offene Volkswirtschaft besteht aus drei Sektoren: dem öffentlichen Sektor, dem
Privatsektor und dem Ausland. Klar ist, wenn ein Sektor netto spart, muss sich mindestens
ein anderer Sektor netto verschulden um diese Ersparnis zu ermöglichen. Es ist logisch
unmöglich, dass alle drei Sektoren gleichzeitig sparen. Wenn alle Sektoren sparen, gehen die
Ausgaben aller Sektoren zurück. Da aber die Ausgaben eines Akteurs immer gleichzeitig die
Einnahmen eines anderen Akteurs sind, gehen damit logischerweise auch die Einnahmen
zurück. Wenn also alle drei Sektoren sparen wollen, berauben sie sich selbst der
notwendigen finanziellen Ressourcen um zu sparen. Das ist das klassisch keynesiansiche
Sparparadox.
Seit den Agenda-Jahren sind in Deutschland sowohl privater als auch öffentlicher Sektor
regelmäßig gleichzeitig Netto-Sparer. Logischerweise kommt das Geld für das private Sparen
unter Erzielung von öffentlichen Haushaltsüberschüssen aus dem Ausland. Konkret sorgen die
deutschen Handelsbilanzüberschüsse für diesen Geldzufluss. Diese Handelsbilanzüberschüsse
wiederum sind maßgeblich dadurch bedingt, dass in Deutschland seit Beginn des Jahrhunderts
die Löhne nicht mehr im Einklang mit dem Produktivitätswachstum steigen. Durch diese
Niedriglohnpolitik genießt die deutsche Wirtschaft Wettbewerbsvorteile, die aber zulasten der
Konkurrenzfähigkeit anderer europäischer Volkswirtschaften gehen. Dadurch zwingen wir
unsere europäischen Partner (insbesondere die südeuropäischen Staaten) unsere
Handelsbilanzüberschüsse durch eigene Handelsbilanzdefizite auszugleichen. Es ist logisch
notwendig, dass sich unsere europäischen Partner dafür verschulden. Die fehlgeleitete
Fiskalpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass Deutschland seine
Arbeitslosigkeit an seine schwächeren europäischen Nachbarn exportiert und mit seinen
Handelsbilanzüberschüssen südeuropäische Staaten in die Verschuldung gedrängt hat.
Weil uns an einer solidarischen und stabilen Europäischen Union gelegen ist, muss diese Politik
umgekehrt werden! Wir brauchen ein signifikantes Lohnwachstum in Deutschland um unseren
europäischen Partnern wieder faire Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen. Wir fordern
daher eine weitere Anhebung des Mindestlohns und eine ordnungspolitische Stärkung der
Gewerkschaften. In Anbetracht der pandemie- und kriegsbedingten temporären Knappheiten
in der Realwirtschaft sollen diese Maßnahmen behutsam und schrittweise umgesetzt werden.
Außerdem fordern wir eine Abkehr von der harten deutschen Linie in der EU, die
südeuropäischen Staaten zur Lösung eines von Deutschland maßgeblich mitgeschaffenes
Problems eine sozial und ökonomisch verheerende Austeritätskur aufoktroyiert.
6. Die Job-Garantie
Strukturelle Arbeitslosigkeit sowie gesellschaftliche Folgeprobleme, gehörten der
Vergangenheit an. Soziale Isolation, Kriminalität, Landflucht, gesundheitliche und familiäre
Probleme sowie frühzeitige Schulabgänge können nach Verlust einer (eigenen) geregelten
Arbeit zu erheblichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen führen.
Gemeinschaftsbildung, soziales Netzwerken, praxisorientiertes Lernen sowie die Sicherung
von intergenerationeller Stabilität, u.a. können ohne geregelte Beschäftigung, nur schwer ihre
integrativen Kräfte entfalten.
Die Implementierung einer Job-Garantie (JG) soll strukturelle Arbeitslosigkeit und ihre
Folgeprobleme beseitigen. Sie kann zudem helfen die Ziele einer volkswirtschaftlichen
Effizienzsteigerung, einer Reduktion sozialer Reibungspunkte und dem Kampf gegen
vermachtete Ungerechtigkeiten, besser zu erreichen.
Das Ziel des Programms ist es, jeder arbeitswilligen Person eine gemeinnützige Arbeit
anzubieten. Der Staat als ‚Arbeitgeber der letzten Instanz‘ könnte so einen sozial akzeptablen
Mindestlohn und entsprechende Arbeitsbedingungen, auch in der Privatwirtschaft,
durchsetzen. Löhne und Arbeitsbedingungen in der Privatwirtschaft werden natürlicherweise
mindestens auf dem gleichen, wenn nicht sogar auf einem höheren Niveau sein als in der Job-
Garantie. Wäre das nicht der Fall, hätten Arbeitnehmer:innen keinen Anreiz überhaupt von
einem JG-Job in die Privatwirtschaft zu wechseln. Private Arbeitgeber sind so gezwungen
attraktivere Löhne und akzeptable Arbeitsbedingungen zu bieten um überhaupt an
Arbeitskräfte zu gelangen. Der Niedriglohnsektor wird effektiv ausgetrocknet. Die Job-
Garantie wirkt wie ein natürlicher Mindestlohn. Die JG-Jobs werden im Rahmen regionaler
oder kommunaler Ebene vorgeschlagene Projekte angeboten, welche nach Prüfung des
gesellschaftlichen Nutzens und ausreichenden Arbeitsmöglichkeiten von zentraler Stelle
finanziert werden. Im Rahmen der Jobgarantie könnte die demokratische Partizipation der
Bürger:innen gestärkt werden, indem z.B. Jugendparlamente oder andere überparteiliche
Interessensvertretungen in die Schaffung von JG-Jobs miteinbezogen werden.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten im Falle einer Rezession nicht nur die Nachfrage
und damit die Konjunktur stabilisieren; positiver Nebeneffekt der JG könnte weiterhin eine
höhere Konkurrenz der Unternehmen um Geringverdiener:innen sein. Asymmetrische
Machtkonstellationen auf dem Arbeitsmarkt würden so effektiv bekämpft und
Arbeitsbedingungen verbessert werden. Damit hätten die Arbeitgeber:innen einen Anreiz,
Arbeitskräfte effizienter einzusetzen. Gleichzeitig entsteht ein Depot an qualifizierten und
routinierten Arbeitskräften, das je nach Bedarf der Privatwirtschaft größer oder kleiner ist.
Weiterhin sollte der Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage automatisch für
erhöhte Löhne sorgen, falls der Bedarf an Arbeitskräften in der Privatwirtschaft steigt. Ein
Depot aus arbeitenden Personen, die der Privatwirtschaft potentiell zur Verfügung stehen
(NAIBER), kann flexibler abgerufen werden, wobei Vollbeschäftigung staatlich garantiert wird.
Preisstabilität kann so im Vergleich zu neoklassischen Konzepten oder zum bedingungslosen
Grundeinkommen auf effizientere Weise sichergestellt werden. Sollte die Inflation in einem
Wirtschaftssektor über das von der Regierung angestrebte Ziel hinausgehen wird eine
restriktivere Fiskalpolitik angestrebt, welche Ressourcen aus dem inflationären Sektor
abfließen lassen sollte. Die JG kann dabei als antizyklischer Stabilisator auf die Konjunktur
wirken. Bei starker Konjunktur verringert sich, durch den erhöhten Bedarf an Arbeitskräften
die Zahl der staatlich bezahlten Jobs. Hierdurch sinken gleichzeitig die Staatsausgaben und das
Überhitzen der Konjunktur wird verhindert. Bei schwacher Konjunktur bietet die JG mehr
Stellen an und verhindert so einen Konsumeinbruch. Die JG kompensiert im Gegensatz zur
Arbeitslosenunterstützung oder einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht nur den
Einkommensverlust, sondern auch den Beschäftigungsverlust.
7. Ein ernstgemeinter Europäischer Green New Deal (GND)
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten und gleichzeitig den
gesellschaftlichen Wohlstand kommender Generationen zu sichern, benötigen wir gewaltige
wirtschaftliche Umwälzungen. Weitreichende Reformen, zur Beseitigung dieser Probleme
benötigen allerdings eine breite, gesellschaftliche Mehrheit und müssen deshalb eine
Mehrheit der Bevölkerung besserstellen um demokratisch durchsetzbar zu sein. Ein von der
MMT inspirierter Green New Deal ist unausweichlich.
Der Green New Deal ist ein umfangreiches Investitionsprogramm, das die ökologische
Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft immens beschleunigt. Auch eine an dem Ziel
der Klimaneutralität ausgerichtete Jobgarantie kann ein Element des Green New Deals sein.
Ein überzeugender Vorschlag zu der Ausgestaltung eines Green New Deal wurde vom
Democracy in Europe Movement (DiEM25) vorgelegt (https://gnde.diem25.org).
Wie in Teil 2 der Begründung erklärt belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten für den
Green New Deal (GND) lediglich auf die Differenz zwischen den benötigten realen
Ressourcen und den Verfügbaren Ressourcen. Ein Ressourcenbedarf, der über die
gegenwärtig noch verfügbaren Ressourcen hinausgeht, um die Ziele des GND zu erreichen,
kann temporäre Konsumeinschränkungen notwendig machen. Diese können durch diverse
fiskalische Instrumente durchgesetzt werden. So können zum Beispiel erhöhte
Konsumsteuern die Nachfrage drosseln. Alternativ kann auch der obligatorische Transfer
eines gewissen Teils der Arbeitseinkommen auf temporär gesperrte aber verzinste
Sparkonten zu einem Konsumaufschub führen, der Einkommensbezieher:innen aber
langfristig sogar besserstellt. Der finanzielle Spielraum welcher durch das zusätzliche Budget
freigesetzt wurde muss eingesetzt werden, um Europas Klimaneutralität bis 2035
sicherzustellen.
8. Eine teilweise Monetarisierung der Care-Arbeit
Gerade der Wirtschaftssektor der Sozialfürsorge wird in klassischen Wirtschaftsmodellen
häufig vernachlässigt. Die Unterteilung in eine Produktions- und eine private Sphäre erscheint
willkürlich. Essenzielle Bereiche wirtschaftlicher Aktivität werden demnach ignoriert,
übersehen oder unterbewertet. Care-Arbeit muss deshalb vom Staat entsprechend vergütet
werden.
Care-Arbeit lässt sich schwer auf klassische, wirtschaftliche Modelle übertragen. Ein Fokus auf
Wachstum und Effizienzsteigerung kann in der Care Arbeit nicht zu einer Qualitätssteigerung
führen. Die Job-Garantie könnte nicht nur für bessere Bedingungen für alle Beteiligten in der
Sozialfürsorge führen. Auch erlauben die Erkenntnisse der MMT eine konjunkturunabhängige
staatliche Vergütung von Care-Arbeit über den Rahmen der Job-Garantie hinaus. Auch könnte
bisher unbezahlte Care-Arbeit durch die Anerkennung als JG-Job entsprechend vergütet
werden. Eine Leistung von der - vor allem - aber nicht ausschließlich Finta-Personen
profitieren. Die bezahlte Care-Arbeit würde demnach als Ergänzung bei struktureller,
marktwirtschaftlicher Unterversorgung dienen.
9. Schlussbemerkungen
In Thüringen bemerken wir jetzt schon, welche verheerenden Folgen fehlgeleitete Sparpolitik
für Zivilgesellschaft, den Gesundheitssektor, Arbeitnehmer:innen, Schüler:innen und
Hiflsbedürftige hat. Entscheidungsträger:innen dürfen sich nicht mehr hinter dem
Scheinargument der Bugetrestriktionen verstecken. Die erheblich größeren Budgetfreiräume
ermöglichen es uns, progressive Projekte deutlich schneller voranzutreiben.
Die MMT verspricht einige systemische Fehler des Kapitalismus abzumildern, kann allerdings
nicht grundsätzliche Widersprüche auflösen. Ziel muss es deshalb sein, mithilfe der MMT
den Kapitalismus zu überwinden. Auch für nicht arbeitswillige Personen muss eine
menschenwürdige Versorgung gewährleistet werden. Ein progressiveres Steuersystem bleibt
weiterhin unausweichlich, auch wenn dieses nicht zur Staatsfinanzierung beiträgt, sondern
für Infaltionsregulierung und zur Abmilderung sozialer Verwerfungen sorgt. Wir sehen die
MMT als eine Hilfestellung für die allmähliche Einführung des Sozialismus an.
Übernahme der Begründung in den Antragstext.
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