Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2021 |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Antragsberatung |
Antragsteller*in: | KV Weimar/Land - Jusos Heidelberg (dort beschlossen am: 19.09.2021) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 08.03.2022, 14:24 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A17NEU: Anspruch auf bezahlte Menstruationsfreistellung
Antragstext
Voraussetzung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung bei Menstruationsbeschwerden
ist ein jährlich ausgestelltes ärztliches Attest, das eine Menstruation des:der
Arbeitnehmer:in und Beschwerden im Zusammenhang mit der Menstruation attestiert.
Darunter sind alle körperlichen und psychischen Belastungen zu verstehen, unter
denen menstruierende Personen aufgrund ihrer Menstruationszyklen leiden können.
Diese Belastungen können unter anderem umfassen: Bauchkrämpfe, Gelenkschmerzen,
insbesondere eine Ausstrahlung der Schmerzen in Beine und Rücken,
Verdauungsbeschwerden, Übelkeit, Schwindel, Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen,
Appetitlosigkeit, depressive Verstimmungen, Konzentrationsstörungen,
Schlaflosigkeit und Müdigkeit.
Da Menstruationsbeschwerden sehr individuell sind, stellen wir nicht auf eine
einheitliche Lösung ab und fordern keine automatische Verpflichtung der
Inanspruchnahme der Menstruationsfreistellung durch menstruierende
Arbeitnehmer:innen. Vielmehr soll der Anspruch für 1-3 Tage pro Monat durch die
Arbeitnehmer:innen freiwillig durch Mitteilung gegenüber ihren Arbeitgeber:innen
geltend gemacht werden können. Eine menstruierende Person, die ihr zustehende
Tage nicht in Anspruch nimmt, soll keine Ausgleichszahlung beanspruchen können,
da durch diese ein falscher finanzieller Anreiz auf Nichtinanspruchnahme der
freien Tage gesetzt würde. Auch nicht-menstruierende Personen können keine
Ausgleichszahlungen verlangen, da es sich bei der Menstruationsfreistellung
nicht um eine Bevorteilung menstruierender Arbeitnehmer:innen handelt.
Begründung
Eine erhebliche Anzahl von Personen ist von der Menstruation betroffen, im Regelfall einmal monatlich für 5-7 Tage. Es handelt sich dabei um einen natürlichen körperlichen Vorgang. Dennoch wird das Thema Menstruation und Beschwerden im Zusammenhang mit der Menstruation in der Gesellschaft weiterhin tabuisiert und klein geredet. Laut dem SCA-Matters Report des SCA aus dem Jahr 2016 stellt die Menstruation für 18 % der deutschen Frauen ein absolutes Tabu dar, weshalb sie darüber nie sprechen würden. Dabei haben laut Techniker Krankenkasse 75 % aller Frauen zeitweise mit leichten bis stärkeren Beschwerden während ihrer Menstruation zu kämpfen. Mehr als 10 % aller Frauen haben so starke Beschwerden, dass sie ihren Beruf und Alltag nicht mehr wie gewohnt meistern können.
Der medizinische Begriff für Regelschmerzen während der Menstruation lautet Dysmenorrhoe. Dabei
beruhen nicht alle Schmerzen ausschließlich auf der Menstruation selbst. Mediziner unterscheiden
zwischen primärer und sekundärer Dysmenorrhoe. Während die primäre Dysmenorrhoe
Beschwerden beschreibt, die durch die Menstruation selbst ausgelöst werden, v.a. verstärkte
Gebärmutterkontraktionen, umfasst die sekundäre Dysmenorrhoe Folgebeschwerden oder
Erkrankungen, wie Myome, Zysten oder Endometriose, die ebenfalls besonders starke Schmerzen
während der Periode auslösen können. Jüngere Personen sind häufiger von Dysmenorrhoe betroffen,
während Personen über 35 Jahren öfter unter dem prämenstruellen Syndrom (PMS) leiden. PMS
beschreibt die Beschwerden in den Tagen bis zu zwei Wochen vor der Regelblutung aufgrund eines
hormonellen Ungleichgewichts im Körper.
Wie auch die Menstruation selbst ist der Umgang mit den damit zusammenhängenden Beschwerden
noch nicht in der Normalität der Gesellschaft angelangt. Bei Regelschmerzen wird Betroffenen gerne
erklärt, sie sollten einfach die Zähne zusammenbeißen und eine Schmerztablette nehmen. Dass es
sich bei Menstruationsbeschwerden nicht um eine faule Ausrede oder Hysterie handelt, zeigt die
Studie von John Guillebaud, Professor am University College London. Die Studie trifft eine klare
Aussage zur möglichen Intensität von Menstruationsschmerzen: Krämpfe während der Periode
können schmerzhafter sein als ein Herzinfarkt.
Eine Linderung können sich Betroffene des Öfteren durch Wärme mittels Wärmflaschen, Wärmepads
oder Decken, Schlaf, Schmerzmittel, Ruhe und kontrollierte Atmung oder leichten Sport und
Spaziergänge verschaffen. Stress trägt zu einer Verschlimmerung der Beschwerden bei. Am
Arbeitsplatz lässt sich Stress meistens nicht vermeiden und die benannten Linderungsmöglichkeiten
sind nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich.
Als Lösung verbleibt somit aktuell nur die Krankmeldung oder ein Arbeiten unter dem Einfluss von
Schmerzen oder starker Schmerzmittel. Die Krankmeldung stellt jedoch keine adäquate Alternative
zur Menstruationsfreistellung dar. Die Beschwerden äußern sich zwar in körperlichen Symptomen.
Dennoch stellen nicht alle mit der Menstruation verbundenen Beschwerden eine Krankheit dar.
Vielmehr handelt es sich um normale Funktionen des Körpers menstruierender Arbeitnehmer*innen,
mit der Besonderheit, dass der zyklisch bedingte Normalzustand Schmerzen auslösen kann.
Außerdem kann eine häufige Krankmeldung weitere Nachteile nach sich ziehen. So gibt es
arbeitgeberseitige Regelungen, die Sonderzahlungen für einen besonders niedrigen Krankenstand
Es gibt zahlreiche Länder in Asien, die genau einen solchen Anspruch auf Menstruationsfreistellung
vorsehen. In Japan und Indien gibt es bereits seit 1947 eine gesetzliche Menstruationsfreistellung.
Südkorea hat eine solche Regelung seit dem Jahr 2001. In Taiwan können sich Menstruierende seit
2013 bis zu 3 Tage pro Monat frei nehmen, in Indonesien bis zu 2 Tage.
Auch in Europa wird die Thematik in den letzten Jahren häufiger diskutiert. In Russland scheiterte ein
Gesetzesvorschlag jedoch im Jahr 2013. 2014 sorgte der britische Professor und Gynäkologe Gedis
Grudzinskas mit dem Vorschlag auf dem Festival of Ideas für Aufsehen. In Italien wurde 2017 ein
diesem Antrag im Wesentlichen entsprechender Vorschlag unterbreitet, jedoch abgelehnt. Die Jusos
Bern waren vor zwei Jahren mit einem Antrag auf bezahlten Menstruationsurlaub in der Schweiz in
aller Munde. Bislang scheint die Lobby für gesetzliche Änderungen in Europa jedoch nicht groß genug
zu sein.
Es bleibt daher aktuell noch einzelnen Unternehmen überlassen, selbst Vorreiter zu sein und den
Anspruch auf „paid menstrual leave“ in ihren Richtlinien festzusetzen. Bei Nike gibt es die
Menstruationsfreistellung bereits seit 2007. Die Eventfirma Coexist in Bristol hat in den letzten
Jahren als erste Firma mit Menstruationsfreistellung im Vereinten Königreich auf sich aufmerksam
gemacht.
Als Hauptkritikpunkt eines Anspruchs auf Menstruationsfreistellung, der weitläufig als
„Menstruationsurlaub“ diskutiert wird, wird eine drohende Benachteiligung und Sexismus am
Arbeitsplatz angeführt. Frauen würden damit zu unattraktiveren Arbeitnehmerinnen gemacht, da
sich der:die Chef:in überlegen müsse, ob er:sie eine Frau mit einem möglichen Anspruch auf
Menstruationsfreistellung oder nicht doch lieber einen Mann anstelle. Dieses Argument könnte auch
für die Regelungen zu Mutterschutz, Elternzeit und Pflegezeit angeführt werden. Frauen im
gebärfähigen Alter sind bereits jetzt die unattraktivste Zielgruppe für Arbeitgeber:innen, sofern
diese ihr Personal ausschließlich nach möglichen Ausfallzeiten auswählen. Und dennoch werden
junge Frauen eingestellt, sie gelten in der Arbeitswelt als besonders fleißig und engagiert.
Bex Baxter der Firma CoExist in Bristol hat die Erfahrungen gemacht, dass sich die Mitarbeiter:innen
durch das entgegengebrachte Verständnis mehr für ihren Job motivieren könnten und nach den
Ausfallzeiten ausgeruhter und konzentrierter arbeiteten.
Der Anspruch auf Menstruationsfreistellung stärkt auch keine weiblichen Stereotype und erklärt
Frauen zum schwachen Geschlecht. Im Gegenteil: Er schafft einen Weg, Nachteile im Beruf aufgrund
von natürlichen Beschwerden des Körpers aufzufangen, lässt aber auch die Möglichkeit offen, davon
keinen Gebrauch zu machen. Wie bei jedem Anspruch, besteht natürlich auch bei einem Anspruch
auf Menstruationsfreistellung die Möglichkeit eines unberechtigten Ausnutzens der gesetzlichen
Grundlage. Diese Kritik entbehrt bislang aber jeder Grundlage. Zum einen wird der Kritik durch die
Notwendigkeit eines jährlichen ärztlichen Attests Rechnung getragen. Im Übrigen müsste mit einer
solchen Argumentation auch eine Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Falle
einer Krankmeldung am ersten Tag gefordert werden.
Die Menstruation ist nichts Ekliges, Schmutziges oder etwas, für das sich Betroffene schämen sollten.
In einigen Fällen und an einigen Tagen ist es einfach nur schmerzhaft. Dieser Antrag kann einen
Beitrag dazu leisten, dies anzuerkennen und mit bestehenden Tabus zu brechen.
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