R1NEU2: R1 Neuausrichtung der Straßenbenennung
Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | Antragsberatung LaKo |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 16.11.2020, 16:48 |
Antragshistorie: |
Veranstaltung: | Landeskonferenz der Jusos Thüringen 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | Antragsberatung LaKo |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 16.11.2020, 16:48 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Das Erstarken der Neuen Rechten mit ihrer Fundamentalkritik an zentralen
Verfassungsnormen, der Ablehnung tragender Prinzipien des Grundgesetzes und den
Versuchen der Erneuerung eines völkischen Nationalismus haben auch eine
architektonische Dimension. Die Auseinandersetzung vom Mensch mit dem gebautem
Raum ist immer eine politische. Der Kampf für progressive Politik darf deswegen
nicht in der zeitweisen Gewinnung des öffentlichen Raums verharren, er muss
stattdessen auch auf die bauliche Manifestation demokratischer und
sozialistischer Ideale zielen und damit die Raumgreifung von Rechten und
Rechtsextremen eindämmen.
Es gibt keine per se rechte oder linke Architektur. Aber es gibt rechte Räume. Das Verhältnis von Raum und Ideologie ist sehr komplex. Es gibt dabei keine einfachen Verknüpfungen von Ursache und Wirkung, aber einen Zusammenhang gibt es ganz offenkundig. Und dieser äußert sich unter anderem darin, wie wir die Vergangenheit rezipieren, uns mit ihr auseinandersetzen und wo wir – ohne sie zu tilgen – voranschreiten.
Genauso wie wir die Reklamierung von öffentlichen Räumen durch Neonazis, wie beispielsweise im Erfurter Herrenberg, nicht widerstandslos hinnehmen, müssen wir die schleichende Schaffung rechter Räume oder das bequeme Verharren in Stadtbildern vergangener Zeiten verhindern. Die im Antrag genannten Maßnahmen geben dafür 3 prägnante Mittel:
Eine Untersuchung des Frauenzentrums Towanda e.V. in Jena ergab 2016, dass von 1016 Jenaer Straßen etwa 16,3% nach Männern benannt sind, aber nur 1,7% nach Frauen. In anderen Thüringer Städten ist die Quote vergleichbar, sie entspricht allerdings nicht der historischen Wahrheit. Frauen waren und sind an der Geschichte und der Gesellschaft von Thüringer Städten und Dörfern beteiligt. An Frauen, die bedeutendes geleistet haben, mangelt es nicht, sie müssen nur sichtbar gemacht werden!
Thüringen hat eine historische Bausubstanz die ihresgleichen sucht. Über Jahrhunderte wurde das Leben und die Kultur in den verschiedensten Baukulturen abgebildet. Ihr kulturhistorischer Wert und die Möglichkeit sie für die Öffentlichkeit zugänglich und nutzbar zu machen, machen sie gleichermaßen erhaltenswert.
Anders liegt der Fall bei Neubauten. Die moderne Architektur bietet zahlreiche Stile, als Ausdruck der Architekt*innen und ihrer Interpretation der demokratischen Moderne. Sie bieten offene, ressourcenschonende und integrierende Modelle einer Raumgestaltung und zahlreiche Gelegenheiten regionale Besonderheiten aufzugreifen. Doch an vielen Stellen in Deutschland weicht die Möglichkeit des modernen Bauens einer reaktionären, scheinbar bruchlosen Wiederholungsarchitektur, die Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert.
Die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses (590 Millionen Euro Steuergeld), der Rekonstruktionsbau der „Neuen Frankfurter Altstadt“ (210 Millionen Euro Steuergeld) oder der Neubau der Bundesbank-Außenstelle in Meiningen (20 Millionen Euro Steuergeld, für 3,5 Millionen an privaten Abnehmer verkauft) sind nur einige, prominente Beispiele für teures, aber unterkomplexes Heile-Welt-Gebaue. Vergangenheit soll für das Publikum und die Besucher*innen der Gebäude wie geschmiert laufen, und zwar in Richtung einer alternativen Historie für Deutschland: Einer Historie, in der der Nationalsozialismus, die deutschen Angriffskriege und der Holocaust allenfalls noch als Anekdoten einer ansonsten bruchlosen Nationalgeschichte überleben. Das mag Ewiggestrigen gefallen, ist jedoch kein Maßsstab für die Verwendung öffentlicher Gelder, die im Letztzweck der Erhaltung und Weiterentwicklung der demokratischen Gesellschaft dienen müssen.
Dieser Architektur-Ideologisierung der Neuen Rechten, die mit Camouflage-Slogans wie „Schönheit“, „Heimat“, „Tradition“, „Identität“ oder „Seele“ hantiert, ist nur mit einer emanzipatorischen Gegen-Ideologisierung beizukommen, mit der entweder diese Begriffe zurückerkämpft oder verlockende Alternativen angeboten werden. Ansonsten: Birne rein!
Am 25. November 2018 jährte sich das Ende des deutschen Kolonialreichs in Afrika, Ozeanien und Asien zum 100. Mal. Die brutale Durchsetzung deutscher Interessen während der 35-jährigen direkten Kolonialherrschaft kostete schätzungsweise einer Million Menschen das Leben. Es waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Doch die Kolonialzeit hat nicht nur die ehemaligen Kolonien nachhaltig verändert. Zwar sind Kolonialismus und antikolonialer Widerstand aus dem kollektiven Gedächtnis der deutschen Mehrheitsgesellschaft verdrängt worden. Trotzdem ist auch diese Gesellschaft von 600 Jahren europäischem Kolonialismus entscheidend geprägt. Davon zeugt der anhaltende Rassismus. Das spiegelt sich in Hunderten von kolonialrassistischen Straßennamen und Denkmälern wider. Das belegt die Anwesenheit Tausender sterblicher Überreste, die für menschenverachtende Forschungen in deutsche Sammlungen verschleppt wurden. Daran erinnern zehntausende, im kolonialen Gewaltkontext angeeignete Kulturgüter in deutschen Museen.
Auch auf regionaler und kommunaler Ebene dürfen wir das nicht hinnehmen. Mit Blick auf die Gestaltung unserer baulichen Umwelt bedeutet das die unbedingte Umbennenung von Straßen, Plätzen etc., die zur Würdigung von Personen dienen, die durch Ausbeutung und Gewalt einen besonderen Platz in der deutschen Geschichte errungen haben.
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