Veranstaltung: | Landesausschuss 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | 1 Begrüßung, Anwesenheit und Beschlussfähigkeitungspunkt |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Jusos Erfurt |
Beschlossen am: | 07.10.2023 |
Eingereicht: | 05.05.2023, 10:52 |
Im Osten geht die Sonne auf! - Unsere Forderungen für eine solidarische EU
Beschlusstext
Im Osten geht die Sonne auf!
-
Unsere Forderungen für eine solidarische EU
Das „E“ in „EU“ steht nicht für Elysée-Vertrag und das „U“ nicht für
Umsatzmaximierung. Die Wurzeln der Europäischen Union liegen in Westeuropa, aber
ihre Blüten liegen im Osten unseres Kontinents.
Für mehr Zusammenstehen. Dieser „Osten“, gemeint sind damit jene Länder, welche
2004, 2007 und 2013 Mitglieder der EU wurden, wird auch hierzulande oft
paternalistisch behandelt und gescholten, wenn er nicht nach der
westeuropäischen Nase tanzt. Außer Acht gelassen werden dabei die fundamental
unterschiedlichen Startvoraussetzungen von Ost-, und Westeuropa. Es ist klar,
dass ein Läufer, welcher Minuten später starten darf als alle anderen, nicht
sofort gleich auf sein kann. Osteuropa hatte und hat andere Startvoraussetzungen
als die anderen Mitgliedsstaaten der EU. Angefangen mit dem Verbot der
Inanspruchnahme von Geldern aus dem Marshallplan für die Länder auf der anderen
Seite des Eisernen Vorhangs durch die Sowjetunion. Fortgesetzt durch die
systematische Unterdrückung der Bevölkerung durch sowjetische
Marionettenregierungen. Nach der Wende wurden schließlich die Märkte der
osteuropäischen Staaten durch westeuropäische Investoren geflutet und die auf
Planwirtschaft gepolte heimische Industrie konnte dem plötzlichen Druck des
globalen Kapitalismus häufig nicht standhalten. All dies nachdem nicht nur
zuhause in Thüringen, sondern überall in Osteuropa Menschen den oft friedlichen,
aber teils auch blutigen Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte
gewannen. Wir Thüringer, genau wie alle Menschen, welche in den neuen
Bundesländern geboren und aufgewachsen sind, teilen diese Geschichte mit vielen
Millionen Freund*innen in den osteuropäischen Staaten. Jene Werte, für welche
die Menschen in der ehemaligen DDR und auch in vielen anderen Ländern des sog.
Ostblocks eingestanden sind, sind heute auch in Art. 2 des EUV festgeschrieben.
Der Freiheitskampf Osteuropas hat die politische Integration Europas
entscheidend vorangetrieben. Heute sind es die osteuropäischen Staaten, welche
pro Kopf den größten Beitrag zur Ukrainehilfe leisten und über das größte Stück
der EU-Landgrenze verfügen, im Baltikum sogar direkt an Russland grenzend. Die
großen europäischen Herausforderungen, wie soziale Ungleichheit und Armut, der
russisch-imperialistische Krieg gegen die Ukraine oder der Klimawandel,
erfordern eine Zusammenarbeit aller europäischer Staaten und das auf Augenhöhe.
Es muss klar sein, dass eine EU, welche es ernst meint mit gemeinsamen Werten
und politischer Integration, ohne die osteuropäischen Staaten nicht
funktionieren kann. Diesen Umständen muss auch in deutscher Europapolitik,
gerade im Hinblick auf die Geschichte als geteiltes Land gebührend Rechnung
getragen werden.
- Wir fordern, dass Deutschland solidarischer mit den osteuropäischen
Staaten ist. Dazu gehört, dass Deutschland von der Praxis abrückt sich
zusammen mit Frankreich als Führungsduo der EU anzusehen. In der Balance
mit einer weiterhin starken deutsch-französischen Partnerschaft sollte
Deutschland mehr in seine Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten,
insbesondere zu unseren direkten Nachbarn Tschechien und Polen,
investieren, auf gleichberechtigter Basis. Die Schaffung von neuen bi- und
multilateralen Dialogforen, sowie die Intensivierung von bereits
bestehenden Foren wie dem Weimarer Dreieck können hier Wege zum Ziel sein.
Für mehr Zusammenwachsen. Hierzulande profitiert man seit den EU-Beitritten
entsprechender Länder im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit von der Arbeitskraft
hunderttausender Menschen, welche oft in prekären Arbeitsverhältnissen unter
schlechten Arbeitsbedingungen beschäftigt werden. Gründe für das massenhafte
Abwandern von Menschen aus ihren osteuropäischen Heimatstaaten sind neben
Perspektiv- und Arbeitslosigkeit, niedrige Lohnniveaus, Strukturschwäche und der
Mangel and Arbeitsplätzen. In Europa darf gemäß der Niederlassungsfreiheit und
Arbeitnehmerfreizügigkeit jede*r Bürger*in eines Mitgliedstaates den eigenen
Lebens-, bzw. Arbeitsort frei wählen. Das Pendent zu diesen europäischen
Grundfreiheiten ist die Freiheit in seiner Heimat wohnen zu bleiben, ohne von
wirtschaftlichen oder politischen Zwängen zum Umzug gedrängt zu werden. Das
massenhafte Abwandern von Menschen aus Osteuropa nach Westeuropa mit den
benannten Gründen für dieses zeigt deutlich, dass viele Menschen in Osteuropa
eben nicht nur aus Lust und Laune auswandern, sondern weil es in der EU immer
noch ein sehr starkes Gefälle der Lebensverhältnisse gibt. Das Abwandern
perpetuiert durch den damit verbundenen „Brain Drain“ zudem noch die bestehenden
Verhältnisse und verfestigt sie. Der Wohlstand in Europa ist ungleich verteilt.
Das ist viel mehr das Resultat der diametral auseinandergehenden Geschichten der
europäischen Staaten, jenseits und diesseits des Eisernen Vorhangs, nach 1945
und der sich nach der Wende manifestierten Produktionsverhältnisse in Europa,
als einer Stärke Westeuropas. Schätzungen zufolge wird etwa ein Fünftel des
westeuropäischen BIPs in Osteuropa erwirtschaftet. Das liegt vor allem an der
wichtigen Rolle der osteuropäischen Staaten als Produktionsstandort oder
Zulieferer westlicher Industrie, wie z. B. der deutschen Autoindustrie. Deutsche
Unternehmen, insbesondere jene aus den alten Bundesländern, haben sich in den
Jahren nach der Wende, befeuert durch niedrige Löhne und gute
Investitionsbedingungen, in Osteuropa eine verlängerte Werkbank aufgebaut. Diese
Entwicklung ist ein Bremsklotz für eine nachhaltige Angleichung der
Lebensverhältnisse in Europa, für ein Aufholen Ost. Der Internationalismus, der
Europäismus und natürlich der Sozialismus sind Grundfesten unseres Verbands.
Demnach ist es geboten, dass wir uns auch in der EU für eine faire und
nachhaltige Umverteilung von wohlhabenden Regionen in weniger wohlhabende
Regionen einsetzen. Wir sollten uns dabei vor allem für soziale Gerechtigkeit,
bessere Bildung, marginalisierte Gruppen und gute Arbeit für fairen Lohn
einsetzen. Für uns muss dabei das Wohlergehen des Individuums klar über dem
Wohlergehen von Unternehmen stehen. Im Rahmen der Kohäsionspolitik hat die EU in
den vergangenen Jahrzehnten in Form der Struktur-, und Entwicklungsfonds
durchaus wirkungsvolle Instrumente entwickelt, um das Zusammenwachsen Europas
auf regionaler Ebene und damit zielgerichteter als durch Förderung auf
staatlicher Ebene, voranzutreiben. Zur Förderung des Aufbaus von lokaler
Wirtschaft und guten Arbeitsplätzen in den Regionen der EU mit dem geringsten
Wohlstand existiert der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). Die
Thüringer Wirtschaft profitiert auch von Mitteln aus diesem Fonds. Der
Europäische Sozialfonds (ESF+) unterstützt Beschäftigung, Qualifikation, Bildung
und soziale Integration, insbesondere auch von marginalisierten Gruppen (wie die
Sinti und Roma in Rumänien und Bulgarien). Diesen beiden Fonds sind in ihrer
Förderung so gestaffelt, dass eben jene Regionen in der EU, in welchen es den
Menschen wirtschaftlich am schlechtesten geht, am stärksten gefördert werden.
Faktisch liegt der Großteil eben jener Regionen in den osteuropäischen Staaten.
Leider ist das Budget der Kohäsionspolitik im aktuellen mehrjährigen
Finanzrahmen anteilig um ca. drei Prozent gesunken. Das ist ein Schritt
rückwärts in Anbetracht der bestehenden sozialen Ungleichheiten und
Ungerechtigkeiten innerhalb der EU, der Prozess des Aufholens Ost ist noch lange
nicht beendet. Nur eine EU mit gerecht verteiltem Wohlstand und gleichsam
„blühenden Landschaften“, Bildungs- und Chancengerechtigkeit in Ost und West,
Nord und Süd, kann eine nachhaltige Zukunft für eine geeinte EU, jenseits purer
wirtschaftlicher Zusammenarbeit bieten. Wir fordern, dass sich Deutschland in
der EU für eine Aufstockung der Mittel der Kohäsionspolitik einsetzt.
- Wir fordern darüber hinaus, dass sich Deutschland dafür einsetzt,
innerhalb der Kohäsionspolitik die Mittel für die Unterstützung von
benachteiligten Individuen einsetzt. Eine Stärkung des ESF+ kann
dahingehend zielführend sein.
Die Mindestlohnrichtlinie der EU, welche Oktober letzten Jahres das finale grüne
Licht vom Europäischen Rat erhielt, ist ein gutes und längst überfälliges Mittel
um die Situation von Arbeitnehmer*innen in ganz Europa nachhaltig zu verbessern.
EU weit 80 % Tarifbindung sind ein ebenso ambitioniertes, wie erstrebenswertes
Ziel, welchem vor allem westeuropäische Länder schon sehr nah sind bzw. es schon
erreicht haben. Tarifbindung sorgt langfristig meist für einen geringeren
Niedriglohnsektor und angemessene Mindestlöhne. Gerade in den osteuropäischen
Ländern mit ehemals staatlich festgelegten Einheitslöhnen, ist die Tarifbindung
besonders niedrig. Faire Mindestlöhne in allen EU-Mitgliedsstaaten würden auch
dazu beitragen, dass osteuropäische Arbeitnehmer*innen, zumeist aus Rumänien
oder Bulgarien, sich gezwungen sehen sich in Sub-, oder
Subsubunternehmerarbeitsverhältnisse in Westeuropa zu begeben, welche teils
einer Form der modernen Sklaverei gleichen.
- Wir fordern, dass jene Länder, welche besonders große Herausforderungen
diesbezüglich zu bewältigen haben, im Besonderen aber nicht nur die
osteuropäischen Staaten mit kommunistisch-autokratischer Vorgeschichte und
aus diesem Grund besonders niedriger Tarifbindung und gewerkschaftlichen
Strukturen, relativ stärker bei der Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie
unterstützt werden als jene Länder, welche bereits den Zielen der
Richtlinie näher sind bzw. diese erreicht haben. Das Wohlergehen der
Arbeitnehmer*innen muss dabei immer über den Profitinteressen deutscher
Unternehmen stehen.
- Wir fordern, dass Sub-, und Subsubunternehmerverhältnisse und die damit
verbundene Ausbeutung osteuropäischer Arbeitnehmer*innen sofort und
effektiv bekämpft werden. Hierfür müssen branchenübergreifend die
auftraggebenden Unternehmen für die Einhaltung von Lohn-, und
Arbeitsstandards durch ihre Subunternehmer direkt haftbar gemacht werden.
Dies sollte in Deutschland umgehend per Gesetz festgelegt und europaweit
durch EU Richtlinie verankert werden.
Für mehr Zusammenleben. Ein grenzenloses Europa ist unser Ziel. Grenzenlosigkeit
der EU nach Außen ist zum jetzigen Zeitpunkt leider eine Utopie. Nach innen
jedoch wird dieses Ziel durch das Schengener Abkommen verwirklicht. Das
Schengener Abkommen ist eine der größten Errungenschaften der EU und das
grenzenlose Reisen innerhalb der EU wird auch hier in Deutschland von vielen
Menschen zuvorderst genannt, wenn es um die sichtbarsten Vorteile der EU geht.
In Thüringen kennen vielen Menschen das Gefühl einer harten Grenze, es war nicht
nur eine harte Grenze, sondern gar der Eiserne Vorhang, welcher Thüringen von
Westdeutschland abgrenzte. Diese unschöne Erfahrung teilen sie mit vielen
Menschen, nicht nur in Ostdeutschland, sondern in allen Ländern des ehemaligen
sog. Ostblocks. Heutzutage ist das Reisen innerhalb Europas viel einfacher
geworden, auch in den östlichen Mitgliedsstaaten der EU. Erst im letzten Jahr
wurde Kroatien, das jüngste EU-Mitglied, in den Schengenraum aufgenommen. Diese
Aufnahme sollte allerdings ursprünglich eine Aufnahme des Trios Rumänien,
Bulgarien und Kroatien werden. Die Europäische Kommission empfiehlt den Beitritt
von Rumänien und Bulgarien bereits seit 2011 und im letzten Jahr hat sich auch
das Europäische Parlament für einen Beitritt beider Länder zum Schengener
Abkommen ausgesprochen. Unter teils fadenscheinigen Argumenten legten die
Niederlande und Österreich im Dezember letzten Jahres ihr Veto gegen einen
Schengen Beitritt Rumäniens und Bulgariens ein. Das ist unsolidarisches
Verhalten höchsten Maßes. Gerade die westeuropäischen Staaten profitieren am
meisten von Arbeitsmigrant*innen aus diesen Ländern, welche dann dort auch noch
in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden und oft, das wenige Geld,
welches sie verdienen, noch in die Heimat schicken. Es darf keine EU-Mitglieder
zweiter Klasse geben.
- Wir fordern, dass sich die deutsche Regierung im Europäischen Rat
nachdrücklich und mit allen in ihrer macht stehenden Mitteln für den
Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum Schengener Abkommen einsetzt und
den Druck auf Österreich und die Niederlande erhöht.
Das angestrebte Ziel sollte ein pluralistisches und gleichberechtigtes Europa
sein, indem Solidarität über Profitabilität steht und die Nationalität niemandem
zum Nachteil gereicht ob Bulgarisch oder Irisch. Wir sind für ein Europa das
zusammen steht, zusammen wächst und zusammen lebt, ohne dabei zur Festung Europa
zu werden.
Hoch die europäische Solidarität!
Begründung
erfolgt mündlich